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Orientalistik, Nationalsozialismus und Vergangenheits-bewältigung

Die Kontroverse um Bertold Spuler an der Universität Hamburg

Rückblickend markieren die 1960er Jahre in der Geschichte der BRD den Beginn eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels. 1961 fand in Jerusalem der Prozess gegen Adolf Eichmann, den Chef-Organisator der europäischen Judenvernichtung statt, ab 1963 in Frankfurt die Auschwitzprozesse. Ausgehend davon drangen die durch Deutschland in Europa begangenen Gräueltaten zunehmend ins öffentliche Bewusstsein. Eine junge Nachkriegsgeneration politisierte sich verstärkt und stellte Fragen nach der Verwicklung ihrer Eltern in die NS-Zeit. Im Verlauf dessen formierte sich vor allem an den bundesdeutschen Universitäten und Hochschulen eine Bewegung von Studierenden, welche ins Zentrum ihrer Forderungen die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit stellte. Die Entnazifizierung durch die Westalliierten war ihrer Ansicht nach nur mangelhaft durchgeführt worden, was sich durch zahlreiche personelle Kontinuitäten innerhalb von Justiz, Verwaltung und Politik äußerte.[1] Aber nicht nur die jüngste Nazivergangenheit, sondern auch ihre Gegnerschaft zum immer stärker eskalierenden Vietnamkrieg, sowie zur Wiederbewaffnung der Bundeswehr, als auch die Forderung nach einer Reformierung der veralteten und konservativen Strukturen an deutschen Hochschulen, und ihre Vorstellungen von einer radikalen Demokratisierung der Gesellschaft, brachten die später als „68er“ bekannte Bewegung in zunehmende Konfrontation mit dem herrschenden Status Quo der BRD. Einen ihrer Höhepunkte fand die 68er-Bewegung am 9. November 1967 durch einen berühmt gewordenen Vorfall an der Universität Hamburg, welcher auch die Orientalistik[2] nicht unberührt ließ.

An jenem Tag wurde der damalige Rektor der Universität, Karl Heinz Schäfer, feierlich verabschiedet und das Amt seinem Nachfolger Werner Ehrlicher übergeben. Als die Lehrstuhlinhaber mit dem alten und neuen Rektor an ihrer Spitze feierlich den Saal betraten, entrollten die damaligen Vorsitzenden des Allgemeinen Studierendenausschusses, Detlev Albers und Gert Hinnerk Belger, ein Stoffbanner, auf welchem „Unter den Talaren Muff von tausend Jahren“ zu lesen war. Ziel der Aktion war es, die Kritik der Studierenden an den veralteten Strukturen der bundesdeutschen Hochschulen und der nicht aufgearbeiteten NS-Vergangenheit in die Öffentlichkeit zu tragen. Als wäre der Vorgang für die damaligen Verhältnisse nicht schon skandalös genug gewesen, erhielt er zusätzliche Brisanz durch den Orientalisten Bertold Spuler.

Gleich als würde der damalige Inhaber des Lehrstuhls für Islamkunde die Kritik der Protestierenden bestätigen wollen, rief er den Studenten zu „Sie gehören alle ins Konzentrationslager!“. Spuler wurde in der Folge zeitweilig von seinen Tätigkeiten an der Universität Hamburg suspendiert und ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet. Im Verlauf dessen stellte sich heraus, dass Spuler nicht nur 1937 der NSDAP beigetreten, sondern auch Mitglied der SA war.

Beitrittsformular aus Bertold Spulers Personalakte,
StA HH, 361-6 IV 1451 Bertold Spuler.

Die politische Stimmung unter den Studierenden an der Universität Hamburg wurde im selben Jahr nochmals durch den Sturz des Denkmals für den ehemaligen Kolonialbeamten Herrman von Wissmann verdeutlicht, welches sich einst vor dem heutigen Hauptgebäude befand.[3]

Dass die Kritik der Studentenbewegung zu großen Teilen berechtigt war, wird unter anderem daran deutlich, dass das Verhältnis der deutschen Geisteswissenschaften und ihrer Akademiker:innen zum Nationalsozialismus zum damaligen Zeitpunkt relativ unthematisiert blieb. Als Grund hierfür werden in der Forschung unter anderem der schwelende „Ost-West Konflikt“, welcher bundesdeutsche Akademiker:innen vor allzu scharfer Kritik der Öffentlichkeit bewahrte, sowie zahlreiche zum damaligen Zeitpunkt noch nicht zugängliche Dokumente vermutet. Erst im Jahr 1988 sollte durch die Forschung des britischen Historikers Michael Burleigh ein Standardwerk[4] über die Verstrickung der deutschen Geisteswissenschaften in die nationalsozialistische Siedlungs- und Vernichtungspolitik in Osteuropa vorliegen.[5] Der heutige Forschungsstand zur Geschichte der Universität Hamburg im Nationalsozialismus ist den wissenschaftlichen Pionierleistungen des Historikers Eckart Krause zu verdanken.[6]

Eine wissenschaftliche Studie über das Verhältnis der Orientalistik zum NS-Regime liegt seit 2006 vor. Der Islamwissenschaftler Ekkehard Ellinger stellte in dieser die bisherige Annahme, dass die Orientalistik für die politische NS-Elite nur von untergeordnetem Interesse gewesen sei, anhand einer umfangreichen Darstellung der Interaktionen deutscher Orientalisten mit dem NS-Regime kritisch auf die Probe.[7] Im Fall der Universität Hamburg konstatiert Achim Rohde, dass eine direkte Kooperation der Orientalistik mit dem Nationalsozialismus nur in beschränkten Umfang nachzuweisen ist, jedoch die Forschung über jene Orientalisten, die sich dem NS-Staat außerhalb von Lehre und Forschung andienten, noch sehr beschränkt ist.[8] Der Aufarbeitung und Diskussion des besonders prominenten Falles des Bertold Spuler hat sich Anne Molls 2004 in einer Magisterarbeit angenommen, die die bisher umfangreichste Recherche aus der Perspektive der Biographieforschung darstellt. [9] Zum Ende der Weimarer Republik hatte sich demnach die Orientalistik fest als eigenständige Geisteswissenschaft im deutschsprachigen Raum etabliert. Während sie in ihrer Anfangszeit im 19. Jahrhundert ein Nischendasein innerhalb der Theologie und Philologie fristete, konnte die Orientalistik ab 1871 von den politischen Allianzen und Bestrebungen des deutschen Kaiserreiches in hohem Maße profitieren. Die Konkurrenz mit den Kolonialmächten England und Frankreich, eine imperialistisch ausgerichtete Außenpolitik, sowie das Bündnis mit dem Osmanischen Reich während des ersten Weltkrieges, schufen Platz für Orientalisten im Staatsdienst.[10] So war beispielsweise der Begründer der Hamburger Islamwissenschaft, Carl Heinrich Becker, im Kultusministerium tätig und setzte sich für die Erweiterung und Förderung zahlreicher Fachbereiche ein.[11] Mit dem wachsenden politischen Erfolg der Nationalsozialisten in den späten Zwanzigern wuchs schließlich auch die Anzahl jener Orientalisten, die ein Parteibuch der NSDAP besaßen, während man sich in den Jahren zuvor eher dem gemäßigt konservativen Parteienspektrum zugehörig sah.[12] In den Jahren 1933-34 stieg schließlich die Bereitschaft unter Orientalisten, sich dem neuen Regime aktiv anzudienen, wozu das sogenannte „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, welches vor allem dazu diente, Jüdinnen und Juden aus dem Verwaltungsapparat und Universitätsbetrieb zu entfernen, einen ersten Anlass bot. So wurde die Karriere des Professors für Islamkunde Franz Babinger beendet, nachdem sein Vorgesetzter an der Berliner Universität, der Orientalist Hans Heinrich Schaeder, in einem Gutachten seine wissenschaftliche Arbeit und darüber hinaus seine „arische Abstammung“ in Zweifel zog.[13] Mit Kriegsbeginn erlangte die Orientalistik schließlich den Status einer kriegswichtigen Wissenschaft. Der Feldzug in Nordafrika und der Versuch mit antibritischer und antijüdischer Propaganda Einfluss in den arabischsprachigen Ländern zu gewinnen, verschaffte deutschen Orientalisten Posten in zahlreichen NS-Organisationen wie Wehrmacht, SS, dem Auswärtigen Amt sowie in den Geheimdiensten.[14] So diente beispielsweise Rudi Paret als Übersetzer im deutschen Afrikakorps und die Arabisten Oluf Krückmann und Adam Falkenstein wurden zur Vorbereitung eines pro-deutschen Putsches 1941 in den Irak entsandt.[15] Weiterhin bemühte man sich zu propagandistischen Zwecken darum, eine arabische Übersetzung von Adolf Hitlers „Mein Kampf“ vorzulegen. In diesem Kontext wurde die Arbeit des Arabisten Hans Wehr an seinem Arabisch-Deutschen Wörterbuch durch das Auswärtige Amt unterstützt.[16]

Ab 1942 strebte die nationalsozialistischen Führung mit der sogenannten „Aktion Ritterbusch“ an, die Geisteswissenschaften ideologisch in die deutsche Kriegspolitik zu integrieren. Die Orientalistik war für den NS-Staat auch im Kontext seines pseudowissenschaftlichen Arierbegriffs interessant. Die Leitung der Orientabteilung der „Aktion Ritterbusch“ wurde dabei dem Indologen Walther Wüst übertragen, welcher mit dem Reichsführer SS, Heinrich Himmler, in regem Austausch stand und von diesem damit beauftragt wurde, die „(…) Haupt- und Kernbegriffe der indogermanischen, nordischen Weltanschauung endgültig festzulegen“.[17] Ein weiteres Betätigungsfeld für die Orientalistik während der NS-Zeit ergab sich nach dem Überfall auf die Sowjetunion 1941. Ähnlich wie schon im arabischsprachigen Raum war die deutsche Kriegsmaschinerie darum bemüht, verschiedene Volksgruppen in Osteuropa für ihren Krieg gegen die Sowjetunion zu gewinnen. Dazu wurden aus kriegsgefangenen Rotarmisten und Freiwilligen die sogenannten Ostlegionen gebildet, die sich aus nichtrussischen Minderheiten zusammensetzten.[18] Im Rahmen dessen wurde auch Bertold Spuler zum ersten Mal in größerem Rahmen für den Nationalsozialismus aktiv.

Der 1911 in Karlsruhe geborene Spuler hatte 1935 sein Studium der Slavistik und Islamwissenschaft in Breslau abgeschlossen und gehörte damit zu der jungen Generation von Orientalisten in Nazideutschland. Bereits ein Jahr vor seiner Habilitation 1938 war er der NSDAP beigetreten und für die Gestapo als Übersetzer für Jiddisch und Hebräisch tätig gewesen. Innerhalb der Partei hatte Spuler die Funktion eines Zellenleiters ausgeübt, von seinem Kreisleiter wurde ihm politische Zuverlässigkeit bescheinigt.[19] Dem gegenüber steht, dass Spuler 1967 im Rahmen einer an seine Suspendierung anschließenden Untersuchung angab, keine Parteiuniform besessen und auch die Weltanschauung der NSDAP abgelehnt zu haben. Gleichzeitig begründete Spuler seinen Parteieintritt später damit, dass er sonst kein Stipendium für seine anstehende Habilitation erhalten hätte.[20]

Im Jahr 1940 wurde Spuler schließlich zur Wehrmacht eingezogen und war ab 1941 vom Auswärtigen Amt mit der Dechiffrierung türkischer Telegramme beauftragt worden. Zu einem höheren Posten sollte Spuler schließlich gelangen als die Wehrmacht beschloss, den Islam als vereinendes Element für die innerhalb der Ostlegionen kämpfenden muslimischen Soldaten zu bestimmen.[21] Dem zugrunde lag die Vorstellung, dass jene Völker allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit natürliche Feinde der Sowjetunion und des Marxismus sein müssten,[22] wovon man sich eine „propagandistische Wirkung auf den Gegner und auf die Bevölkerung der entsprechenden Länder“[23] versprach. Gleichzeitig wurde ihnen die Bildung eigenständiger Nationalstaaten unter deutschem „Schutz“ versprochen.[24] Auch im Reichssicherheitshauptamt, dem Nachrichtendienst der SS, fand dies seinen Widerhall mit der Einrichtung der sogenannten Arbeitsgemeinschaft Turkestan. Im institutionellen Rahmen der Deutsch Morgenländischen Gesellschaft hatte dieses Projekt den Auftrag, sich „mit besonders dringlichen Fragen über die wehr- und volkswirtschaftliche Bedeutung Sowjet- Mittelasiens (…) sowie mit Fragen des nationalen Gegensatzes (…)“ zu beschäftigen.[25]  Zu diesem Zwecke vermittelte Spuler der Arbeitsgemeinschaft Personal, welches er aus den Wehrmacht- und SS-Verbänden der Ostlegionen oder direkt aus Kriegsgefangenenlagern rekrutierte.[26]

Im Sommer 1942 wurde beschlossen, die einzelnen Legionen nach religiösen Gesichtspunkten zu hierarchisieren und an deren Spitze sogenannte Feldmullahs zu stellen, die als Experten für islamische Fragen fungieren sollten.[27] Zu diesem Zwecke wurden im Sommer 1944 sogenannte Mullah-Lehrgänge an der Universität Göttingen ins Leben gerufen, deren Leitung Spuler übernahm. Ziel dieser Lehrgänge sollte sein, den Teilnehmenden ein Grundwissen in Theologie und Ritus der zwei wichtigsten konfessionellen Gruppen des Islam, Schiiten und Sunniten, zu vermitteln.[28]

Die fachlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten Spulers prädestinierten ihn für diese Aufgabe, da er über einen reichen Fundus an Wissen über Geschichte und Praxis des Islam verfügte und neben Arabisch und Türkisch zahlreiche weitere regionale Sprachen beherrschte.[29] Im Allgemeinen wurden die Mullah-Lehrgänge Spulers als ein Erfolg bewertet. Den von ihm ausgebildeten muslimischen Geistlichen wurde attestiert, sich als „besonders überzeugte Gegner des Bolschewismus[30] hervorgetan zu haben, wovon man sich die gewünschte Propagandawirkung innerhalb der Legionen versprach. Als problematisch bewertete Spuler hingegen, dass an seinen Lehrgängen Muslime sunnitischer als auch schiitischer Glaubensrichtungen teilnahmen, was zu religiösen Spannungen unter den Teilnehmenden führte und Spuler dazu veranlasste, sich für deren Trennung einzusetzen.[31]

Im Zusammenhang mit der Kontroverse von 1967 ist es bemerkenswert, dass Bertold Spulers tatsächliche Betätigung als Orientalist während der Zeit des Nationalsozialismus nur von untergeordnetem Interesse zu sein schien. In der öffentlichen Debatte dominierte die Auseinandersetzung über den von ihm getätigten Ausruf gegenüber den protestierenden Studenten und die Frage, ob dieser Rückschlüsse auf die politische Gesinnung Spulers zuließe. Zu dem Vorfall befragt, gab Spuler an, dass er durch die Aktion der Studenten beschämt wurde und sich in einem Zustand emotionaler Erregung zu dem Ausruf hinreißen ließ.[32] Seine Motivation lag ihm zufolge nicht in einer nationalsozialistischen Gesinnung, sondern in dem Wunsch, dass „das Verhalten dieser terroristischen Gruppen [die Studenten, M.P.] geahndet werden [müsste]“.[33]

Der Vorfall wurde in der Folge durch die Presse aufmerksam beobachtet und kommentiert. So schrieb der Journalist Egon Giordano in einem Brief an den damaligen Hamburger Bürgermeister, dass es „keine größere Offenbarung“ für eine nationalsozialistische Gesinnung geben könne als die, dass jemand Andersdenkende in ein KZ wünscht.[34]

Zuschrift des Journalisten Egon Giordano an Bürgermeister Dr. Drexelius, 24.11.1967
StA HH 361-6 IV 1451 Bertold Spuler.

Demgegenüber erfuhr Spuler durch sein Fachkollegium und durch ihm persönlich nahestehende Studierende ein hohes Maß an Unterstützung. So wurde beispielsweise auf die freundschaftlichen Kontakte die Spuler zu dem von den Nationalsozialisten verfolgten Dr. Richard Salomon pflegte verwiesen.[35] In einem Brief an die Hamburger Schulbehörde drückten darüber hinaus Studierende des Orientalischen Seminars ihre Wertschätzung gegenüber Spuler aus und kritisierten den – ihrer Ansicht nach ungerechten – Umgang mit ihrem Professor in der Presselandschaft, da ein „einmaliger Zuruf“ nicht als Ausdruck einer „gefestigten Überzeugung“ gewertet werden dürfe.[36]

Dieser Auffassung schloss sich auch die Leitung des gegen Bertold Spuler eingeleiteten Disziplinarverfahrens an und sprach lediglich einen Verweis gegen den Orientalisten aus. Bereits am 7. Februar 1968 durfte Spuler seine Dienstgeschäfte wieder aufnehmen und lehrte noch bis 1980 in Hamburg wo er 1990 starb.[37]

Das Hamburger Abendblatt berichtet am 3. Mai 1968 über den Verweis Bertold Spulers, StA HH 361-6 IV 1451 Bertold Spuler.

Ob es sich bei der Person Bertold Spuler um einen überzeugten Nationalsozialisten gehandelt hat oder ob er einer jener zahlreichen Orientalisten war, die sich dem NS-Staat aus Karrieregründen andienten, lässt sich aus geschichtswissenschaftlicher Sicht schlecht bewerten. Allerdings lassen sich, ausgehend von den zugänglichen Archivdokumenten und der historischen Forschung, Aussagen darüber treffen, inwieweit die Orientalistik und ihre akademische Elite Anteil an der nationalsozialistischen Ideologie und ihrer mörderischen Praxis hatte: Spätestens nach Kriegsbeginn war die Orientalistik für Deutschland zu einer kriegswichtigen Wissenschaft geworden, während sie in den Vorjahren Phasen der Anpassung und Ideologisierung durchlaufen hatte. Die rassistische Vorstellung des Nationalsozialismus von „organisch gewachsenen Volksgemeinschaften“ schlug sich innerhalb der Orientalistik besonders in einem idealisierten Verhältnis zum Islam nieder, der unter anderem von Spuler in einer Studie von 1942 als das „verbindende Element“ von in Wahrheit sehr heterogenen Volksgruppen konstruiert wurde, was eine orientalistische Sichtweise im Sinne von Edward Said offenbart. Vor allem die jungen Orientalisten wie Spuler wurden durch Wehrmacht, SS und die Geheimdienste in ihrer Disziplin gefördert und boten ihnen Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten außerhalb der Universität. In diesem Rahmen war Spuler in seiner Tätigkeit als Ausbilder für muslimische Angehörige der Ostlegionen an dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion beteiligt, in dem laut nationalsozialistischen Plänen 20 Millionen Sowjetbürger ermordet werden sollten. Das Beispiel Berthold Spuler zeigt eindrücklich, dass Wissenschaft in Wechselwirkung mit den jeweils herrschenden Verhältnissen steht und unter bestimmten Umständen dazu führt, dass aus Wissenschaftler:innen Täter:innen werden.


[1] Im zweiten deutschen Bundestag waren laut CIA-Dokumenten 129 ehemalige NSDAP-Mitglieder vertreten. Exemplarisch sei auf Theodor Oberländer und den späteren Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger verwiesen. National Security Archive, https://bit.ly/3GPcHHP (Zugriff 3.6.2022). Der unter Konrad Adenauer als Bundeskanzleramtschef tätige Hans Globke war einer der Verfasser der Nürnberger Rassengesetze.

[2] Spätestens seit dem Erscheinen von Edward Saids Buch „Orientalismus“ (1978) wird der Begriff des Orientalismus, bzw. die Fachgeschichte der Orientalistik, von kritischen Untersuchungen begleitet. Orientalistik bzw. Orientalist, wird in diesem Beitrag nach der Definition von Ekkehard Ellinger verstanden, siehe dazu: Ellinger, Ekkehard: Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus, 1933 – 1945. Edingen-Neckarhausen: deux-mondes-Verlag 2006, S. 2f.

[3] Raßhofer, Veit: „Das Hamburger Kolonialinstitut. In: Paul, Ludwig (Hg.): Vom Kolonialinstitut zum Asien-Afrika-Institut. 100-Jahre Asien- und Afrikawissenschaften in Hamburg. Ostasien Verlag 2008, S. 29.

[4] Burleigh, Michael: Germany Turns Eatswards. A Study of Ostforschung in the Third Reich. Cambridge: Cambridge University Press 1988.

[5] Gasche, Malte: „Die Beziehung Deutscher und Skandinavischer Orientalisten im Schatten des Nationalsozialismus: Von traditionellen Banden, weltanschaulichen Brüchen und (teils) getrennten Wegen nach 1945“. Studia Orientalia Electronica (4) 2006: S. 53-70, hier S. 53f.

[6] Vgl. Uni Hamburg, https://www.geschichte.uni-hamburg.de/ueber-den-fachbereich/aktuelles/krause-ehrendoktor.html (Zugriff 3.6.2022).

[7] Ellinger, Ekkehard (2006): S. 4.

[8] Rohde, Achim: Elfenbeinturm Revisited – Zur Geschichte der Orientalistik im Nationalsozialismus: Das Beispiel der Hamburger Universität. In: Orient: Zeitschrift des Deutschen Orient Instituts. 41: 3 (2000), S. 435-460, hier S. 458f.

[9] Von der Autorin dem Projekt freundlicherweise zur Verfügung gestellt: Molls, Anne Cornelia. Bertold Spuler und die Mullakurse im „Dritten Reich“. Eine biographische Studie zum Verhältnis von Orientalistik und Politik im Nationalsozialismus. Unveröffentlichte Magisterarbeit, Universität Hamburg 2014, 121 Seiten.

[10] Ellinger, Ekkehard (2006): S. 25f.

[11] Ebd. S. 27f.

[12] Ebd. S. 34f.

[13] Ebd. S. 54f.

[14] Ebd. S. 232.

[15] Ebd. S. 252.

[16] Ebd. S. 193.

[17] Vgl.: Gasche, Malte (2016): S. 57.

[18] Hoffmann, Joachim: Die Ostlegionen 1941-1943. Turkotataren, Kaukasier und Wolgafinnen im deutschen Heer. Freiburg: Verlag Rombach 1976, S. 9.

[19] Vgl. Brief des NSDAP-Kreisleiters vom 19.11.1938, StA HH 361-6 IV 1451 Bertold Spuler.

[20] Vgl. Protokoll der Vernehmung Bertold Spulers am 18.12.1967 durch Oberstaatsanwalt Dr. Marten, Einleitungsbehörde des Senats, S. 1-9, hier 3, StA HH 361-6 IV 1451 Bertold Spuler.

[21] Die Religionszugehörigkeit der in den Ostlegionen kämpfenden Soldaten war, wie auch ihre Sprache und nationale Zugehörigkeit, sehr divers. Der Islam verfügte lediglich über die zahlenmäßig größte Anhängerschaft.

[22] Ellinger, Ekkehard (2006): S. 255f.

[23] Vgl. Hoffmann, Joachim (1976): S. 105.

[24] Ebd. S. 106.

[25] Vgl. Ellinger, Ekkehard (2006): S. 266.

[26] Ebd. S. 267.

[27] Hoffmann, Joachim (1976): S. 138.

[28] Ellinger, Ekkehard (2006): S. 256.

[29] Hoffmann, Joachim (1976): S. 140.

[30] Vgl. ebd. S. 142.

[31] Ebd.

[32] Vgl. Protokoll der Vernehmung Bertold Spulers am 18.12.1967 durch Oberstaatsanwalt Dr. Marten, Einleitungsbehörde des Senats, S. 1-9, StA HH 361-6 IV 1451 Bertold Spuler.

[33] Vgl. Brief des Journalisten Egon Giordano an Bürgermeister Dr. Drexelius, 24.11.1967, StA HH 361-6 IV 1451 Bertold Spuler.

[34] Ebd.

[35] Vgl. Brief Prof. Schaefers an den Rektor der Universität Hamburg, Prof. Dr. Drexelius, 21.11.1967, StA HH 361-6 IV 1451 Bertold Spuler.

[36] Vgl. Brief Studierender der Orientalistik an den Rektor der Universität Hamburg, Prof. Dr. Drexelius, 21.11.1967, StA HH 361-6 IV 1451 Bertold Spuler

[37] Vgl. Zeitungsartikel Hamburger Abendblatt 3.5.1968, StA HH 361-6 IV 1451 Bertold Spuler.

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From Venice to Rome to Hamburg: Following the Middle East in Europe in the 1980s

When invited to write a teaching project because my students had nominated me for the Claussen-Simon-Wettbewerb für Hochschulen, my colleague Thomas Eich suggested that I devote a part of the project to the events that happened in 1983 in Hamburg within the field of Euro-Arab cooperation. While working at the Hamburg State Archive, he had come across a reference to a book exhibition that was curated by the Istituto per l’Oriente Carlo Alfonso Nallino in Rome (11–15.04.1983) and that took place at the Atlantic Hotel in Hamburg during the 1983 Euro-Arab Symposium. As a junior professor for Islamic studies in Hamburg who was born in Rome in that year, and given the fact that I had been a member of the Istituto per l’Oriente Carlo Alfonso Nallino for many years, I obviously wanted to know more about the symposium.

In the project application I decided therefore to include a student research trip to the archive of the institute in Rome, to find out more about the cooperation between Rome and Hamburg in 1983. But while in Rome we realized that, in order to understand that cooperation, it was necessary to look at another congress that happened in another Italian city, namely Venice.  

Indeed, during the 1970s,  different countries within the European Community and the Arab League started to discuss the possibility of establishing a dialogue between members of the two institutions with the aim of working together on a number of topics of common interest.[1] As a result, in the first half of 1974 the Euro-Arab Dialogue was launched.[2] A general Euro-Arab Commission was created to be in charge of taking executive decisions on proposals advanced by specialized Euro-Arab commissions.[3] One of these commissions was in charge of Culture, Labour and Social Affairs and proposed to organize an Euro-Arab symposium devoted to the cultural relations between Europe and the Arab world, a proposal that was supported by the general Euro-Arab Commission. A special committee with representatives from both regions was appointed and, over a number of meetings in 1978, 1981, 1982 and 1983, discussed how to organize the symposium that was going to happen in Hamburg.[4]

The first meeting organized within the framework of this dialogue was a seminar with the title “Means and Forms of Cooperation for the Diffusion in Europe of the Knowledge of Arabic Language and Literary Civilization”, that took place at the University of Venice between 28 and 30 March 1977.[5] The organization of the seminar was entrusted to the “Seminario di Letteratura Araba” at the Faculty of Foreign Languages at the University of Venice and the Istituto per l’Oriente, an institute founded in Rome in 1921 “by a group of ambassadors, senior civil servants and university professors of Oriental studies, to give Italy a valuable research institution devoted to the Near and Middle East”,[6] today called “Istituto per l’Oriente Carlo Alfonso Nallino”[7] in honour of the Italian Orientalist Nallino, who died in 1938.  

Many of the documents of this seminar are still held in the archives of the Istituto per l’Oriente Carlo Alfonso Nallino, and we were able to look at them during a research stay in June 2019 within the framework of this teaching and research project. These documents make clear that the main topic of discussion in the Venice seminar was how to teach Arabic to non-Arabs, a topic that remains topical today. Presenters from different countries discussed how Arabic was taught in Belgium, Denmark, the Federal Republic of Germany and West Berlin, France, Italy, the United Kingdom and the Netherlands. Moreover, speakers addressed the necessity to train Arabic university teachers in French and German universities.

While working at the archive of the Istituto per l’Oriente Carlo Alfonso Nallino, we had a chance to meet Daniela Amaldi, who was one of the participants in that seminar, who showed us the reports and the material that were presented at the meeting in Venice, and the telegrams that were used to invite the participants, something that, in the era of email communication, attracted the attention of all of us.

We were particularly struck by the report on the computerization of Arabic texts and also by the debate on how Arabic should be taught: the topics discussed more than 40 years ago are still timely today at seminars where Arabic is taught. This was particularly clear to us when looking at the recommendations drafted at the end of the meeting: for example, according to recommendation no. 10, “in teaching Arabic emphasis must be laid on different linguistic skills; the teaching of Arabic must be linked  with Arab-Islamic culture and contemporary Arab issue”, something that is extremely present in light of the discussions on the integration of cultural aspects into the language class.[8] Recommendation no. 18 focused on financial aspects, with the seminar’s participants asking European governments participating in the Euro-Arab dialogue “to exempt the above mentioned institutes (those in Arab and Islamic studies) from cuts in their funds”.[9]

Typewriter, scholarly literature, and the report on the computerization of Arabic: Our exhibition showed early efforts at technologies still in progress today.

It was, however, only in 1983 that the first (and only) big cultural event in the field of the Euro-Arab dialogue, namely the “Euro-Arab Dialogue Symposium”, took place in Hamburg. The organization of the symposium was coordinated by the Deutsches Orient-Institut, directed by Udo Steinbach, and supported by a group of Arab and European diplomats (such as, for example ambassador for Italy Antonio Puri Purini) and scholars (for example, André Raymond, Professor at the University of Aix-en-Provence).[10]

As pointed out in Nikolai Ballast’s blog post a number of cultural activities were connected to this political event, including an Arabic Film week, where eight films were screened, a number of events devoted to Arab music including groups from Cairo, Tetouan, Damascus, and three exhibitions: one focusing on “The Picture of Arabia in European Literature”, that took place at the Katholische Akademie and was curated by the Herzog August Library in Wolfenbüttel, one on “Arab Art and Islamic Manuscripts”, that included valuable manuscripts from the Chester Beatty Library in Dublin and was held at the Museum für Kunst und Gewerbe, and a book exhibition that took place at the Hotel Atlantic[11] between 11 and 16 April 1983,[12] on which I am going to focus in this blog post.

In this book exhibition, France, Great Britain, Federal Germany, the Netherlands, Greece and Italy exposed books related to the Arab world recently published.[13]

According to reports of witnesses we collected during our stay in Rome, the exhibition was born from an initiative of the Ministry of Foreign Affairs, which entrusted its execution to the “Center for Italian-Arab Relations”, that was part of the Ministry and was supervised by the then retired ambassador Antonio Puri Purini,[14] who was a member of the organizing committee of the 1983 symposium in Hamburg. The Center for Italian-Arab Relations was located in Rome in via Alberto Caroncini 19, in the same building as the Istituto per l’Oriente Carlo Alfonso Nallino was and still is located. Precisely because of this proximity, the Center asked the Istituto to collaborate on this project, which was then effectively coordinated by the institute, and specifically by the Islamicist Alberto Ventura and the Turcologist Giacomo E. Carretto (d. 2015). Ventura, Carretto and the institute’s librarian contacted all Italian publishers who had recently published books on the Arab-Islamic world in their catalogues. The exhibition was then presented not only in Hamburg but also at the Instituto per l’Oriente.[15]

Research at the Istituto per L’Oriente in Rome, June 2019. (C) Selina Rabe

The list of the books that were included in the exhibition is particularly revealing of what was going on at that moment in Islamic and Middle Eastern studies in Italy: recently published books of leading Italian academics were included, like, for example, Alessandro Bausani’s book on Islam in India or on the Ikhwān al-Ṣafāʾ,[16] Carmela Baffioni’s work on atomism and antiatomism,[17] Francesco Castro’s publications on Islamic law,[18] Francesco Gabrieli’s works on Arabic poetry,[19] Francesco Beguinot’s grammar of Nefūsī Berberian (a grammar published almost forty years before the exhibition, and on which I studied twenty years later),[20] or Laura Veccia Vaglieri’s[21] Grammar of Arabic language (on which I also studied and which is still used, in a revised version, in many Italian universities).[22] The works of Giorgio Levi della Vida also deserve a special mention.[23] Della Vida was one of the twelve Italian university professors who refused to pledge the oath of loyalty to the Fascist regime and for that reason lost his position at the universit.y[24] The works of Carlo Alfonso Nallino,[25] after whom the institute in Rome was named, were also sent to Hamburg, together with those of Umberto Rizzitano on Arab-Sicilian poetry and his translation of Ṭāhā Ḥusayn’s al-Ayyām.[26] 

The list of translated works sent to Hamburg is also very interesting: for example, a translation into Italian of Frantz Fanon’s Les damnés de la terre, published in Italian in 1976;[27] a translation of French sociologist Jacques Berque’s Les Arabes, published in 1978;[28] the book by the Marxist and pan-Arabist sociologist Anwār ‘Abd al-Mālik on Egypte: société militaire;[29] French Marxist sociologist Maxime Rodinsons’s Mahomet;[30] and Noam Chomsky’s Peace in the Middle East? Reflections on Justice and Nationhood[31] were all sent to the exhibition. Besides that, a number of literary works translated from Arabic to Italian were sent to Hamburg: as well as Ṭāhā Ḥusayn, already mentioned were also translations into Italian of many works of the Egyptian author Tawfīq al-Ḥakīm (d. 1987),[32] the Syrian poet Nizār Tawfīq Qabbānī (d. 1998),[33] the Iraqi poet Badr Šākir as-Saiyāb (d. 1964)[34] and the Syrian author and journalist Zakariyyā Tāmir.[35]

This selection confirms on the one hand that one of the strengths of Oriental Studies in Italy has been (and still is) the field of literary and translation studies, with an established tradition that continues up until today. On the other hand, the selection makes clear that pan-Arabist and Marxist sociological approaches to Islamic and Middle Eastern Studies were received in Italy quite early. This is thanks to the efforts of the Italian publishing house Luigi Einaudi, which has played a prominent role: founded in Turin in 1933 by Giulio Einaudi, son of the future President of the Republic Luigi Einaudi, from the very beginning the publishing house distinguished itself for its clear civil, political and intellectual commitment and a clear anti-fascist agenda.[36] Besides academic publishers (in particular the Istituto per l’Oriente, l’Accademia Nazionale dei Lincei  and the Istituto Universitario Orientale), Einaudi was certainly the private Italian publishing house that contributed most to the exhibition.

While looking at this list, I realized that it reflects quite faithfully the academic tradition I was exposed to during my time at the University of Naples L’Orientale, where I studied Arabic and Islamic Studies. There is one remarkable absence from this list, though: namely, no translation of Edward Said’s work was sent to Hamburg. However, that should not be surprising: the book published in Italian was not published in Italian until 1991.[37] That it took 13 years to translate Orientalism into Italian is hard to explain if we bear in mind that, for example, Noam Chomsky’s Peace in the Middle East? Reflections on Justice and Nationhood was published in 1974 and already translated into Italian in 1976, but the editorial market certainly has its own rules, which differ (sometimes radically) from academic ones.

It is difficult to assess how the exhibition was received in Hamburg, because this would require another research project. I focused here on the Italian element but it would be interesting to look in the future at the other European publications that were presented at the exhibition too, to better understand what was published, translated and read in the 1980s in relation to the Arab world. What is certain is that the events of 1983 unfortunately are unique in the history of the relations between Europe and the Arab world. While we still have scientific congresses that allow intellectual exchange, I am afraid that the kind of political willingness that made the Hamburg symposium possible no longer exists. 


[1]      Derek HOPWOOD (ed. of the English version): Euro-Arab Dialogue. The relations between the two cultures. Acts of the Hamburg symposium. April 11th to 15th 1983. London/Sydney/Dover: Croom Helm, 1985, p. 7.

[2]      Udo STEINBACH, “III. Die Europäische Gemeinschaft und die arabischen Staaten”. In: Deutsch-Arabische Beziehungen. Bestimmungsfaktoren und Probleme einer Neuorientierung, ed. by Karl Kaiser and Udo Steinbach. München/Wien: Oldenbourg Verlag 1981, pp.185–204, here p. 189.

[3]      HOPWOOD 1985, p. 7. 

[4]      Ibid. 

[5]      HOPWOOD 1985, p. 315.

[6]      Istituto per l’Oriente Carlo Alfonso Nallino, https://www.ipocan.it/index.php?option=com_content&view=article&id=11&Itemid=2&lang=en. Accessed 16 December 2021.

[7]      The institute’s name was changed in honour of one of its founders, Carlo Alfonso Nallino, whose library and house were donated to the Institute by his daughter Maria. Ibid.

[8]      See, for example, Ahmad Abdel Tawwab SHARAF ELDIN, “Teaching Culture in the Classroom to Arabic Language Students”, International Education Studies. Vol. 8, No. 2 (2015): 113–120; or the approach behind the website Khallina, see Khallina: ”Who we are”, https://khallina.org/, accessed 16 December 2021.

[9]      HOPWOOD 1985, p. 322.

[10]     HOPWOOD 1985, pp. 8–9.

[11]    HOPWOOD 1985, p. 324.

[12]      Istituto per l’Oriente, Dialogo Euro-Arabo, Simposio Euro-Arabo sulle relazioni tra le due civiltà, Elenco dei volumi italiani presentati alla mostra, p. 1.

[13]      Istituto per l’Oriente, Lettera del Ministero degli Affari Esteri, D. G. Relazioni Culturali, Uff. III, 9 May 1983. Prot. N. 2126.

[14]      Personal email exchange with Alberto VENTURA, 14.06.2019.

[15]      Ibid. 

[16]      Alessandro BAUSANI: L’Islam in India. Tipologia di un contatto religioso. Rome: Accademia Nazionale dei Lincei, 1973 and id., L’Enciclopedia dei Fratelli della Purità. Naples: Istituto Universitario Orientale, 1978. 

[17]      Carmela BAFFIONI, Atomismo e antiatomismo nel pensiero islamico, con un’appendice di M. Nasti de Vincentis, Naples: Istituto Universitario Orientale, 1982. 

[18]      Francesco CASTRO, Materiali e ricerche sul Nikāḥ al-Mut‘a. I-Fonti imāmite. Rome: Accademia nazionale dei Lincei, 1974. 

[19]      Francesco GABRIELI, Gli Arabi nel Mediterraneo. Rome: Accademia Nazionale dei Lincei, 1970; id., Studi su al- Mutanabbī. Rome: Istituto per l’Oriente, 1972; id., Viaggi e Viaggiatori Arabi. Florence: Sansoni, 1975. 

[20]      Francesco BEGUINOT, Il Berbero Nefûsi di Fassâto. Rome: Istituto per l’Oriente, 1942. 

[21]      She worked for the Italian Ministry of Colonies. 

[22]      Laura VECCIA VAGLIERI, Grammatica teorico-pratica della Lingua araba. Rome: Istituto per l’Oriente, 1959. The Grammar has also been published for the Istituto per l’Oriente in a revised edition by Maria Avino in 2011. 

[23]      Giorgio Levi DELLA VIDA, Arabic Papyri in the University Museum in Philadelphia (Pennsylvania). Rome: Accademia Nazionale dei Lincei, 1981; id., Note di storia letteraria arabo-ispanica. Rome: Istituto per l’Oriente, 1971. 

[24]      He then had to flee to the United States, where he taught at the University of Pennsylvania between 1939 and 1943, and then again later between 1946 and 1948. More on that can be found in Helmut GOETZ, Il giuramento rifiutato. I docenti universitari e il regime fascista. Florence: La nuova Italia, 2000. 

[25]    Carlo Alfonso NALLINO, Chrestomathia Qorani Arabica. Rome: Istituto per l’Oriente, 1963; id., Raccolta di Scritti editi e inediti. Rome: Istituto per l’Oriente, voll. II, III, IV: 1940–1942. 

[26]    Umberto RIZZITANO, Un compendio dell’antologia dei poeti arabo-siciliani intitolata ad-Durrah al- Ḫatīra min Šu‘arā’ al-Ğazīra di Ibn al-Qaṭṭā‘ “Il Siciliano” (433-515 Eg.). Rome: Accademia Nazionale dei Lincei, 1958; L’islam maghribino, Rome: Accademia Nazionale dei Lincei, 1974; transl. and ed. by Umberto RIZZITANO, Ṭāhā ḤUSAIN, I giorni. Naples: Istituto Universitario Orientale, 1964. 

[27]    Frantz FANON, I Dannati della Terra. Turin: Einaudi, 1976. 

[28]    Jacques BERQUE, Gli Arabi. Turin: Einaudi 1978. 

[29]    Anouar ABDEL-MALEK, Esercito e Società in Egitto 1952–1967. Turin: Einaudi 1967. 

[30]    Maxime RODINSON, Islam e Capitalismo. Saggio sui rapporti tra economia e religione. Turin: Einaudi, 1968. 

[31]    Noam CHOMSKY, Riflessioni sul Medio Oriente. Turin: Einaudi, 1976. 

[32]    Tawfīq AL-ḤAKĪM, La Gente della Caverna, ed. and transl. Umberto RIZZITANO. Rome: Centro per le Relazioni Italo-Arabe, s.d.; id., O tu che Sali sull’albero…, ed. and transl. Adalgisa DE SIMONE. Rome, Istituto per L’Oriente 1971; id., La prigione della vita, ed. by Giuseppe BELFIORE. Rome, Istituto per L’Oriente 1976; id., Shams an-Nahār, ed. and transl. Vincenzo STRIKA. Rome: Istituto per L’Oriente 1974; id., Un sultano in vendita, ed. and transl. Virginia VACCA. Rome: Istituto per L’Oriente, 1964.

[33]    Nizār QABBĀNĪ, Poesie, ed. and transl. Giovanni CANOVA et al. Rome: Istituto per l’Oriente, 1976. 

[34]    Badr Šākir AS-SAIYĀB, Poesie, ed. and transl. Paolo MINGANTI. Rome: Istituto per l’Oriente, 1968. 

[35]    Zakariyyā TĀMIR, Racconti, ed. and transl. Eros BALSIDDERA. Rome: Istituto per l’Oriente, 1979. 

[36]    It is no coincidence that the publishing house and Giulio Einaudi himself were targeted by the regime. In 1935 Einaudi was first arrested and then sent to confinement. On the fascinating history of this publishing house, see Luisa MANGONI, La casa editrice Einaudi dagli anni Trenta agli anni sessanta. Turin: Bollati Boringhieri, 1999.

[37]    Edward SAID, Orientalismo, transl. Stefano GALLI. Turin: Bollati Boringhieri, 1991.

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Dem Orchideenfach Iranistik fehlen manche Blüten

In meiner Masterarbeit übersetze ich persische Gedichte afghanischer Frauen. Dass diese Frauen in Iran aufgewachsen sind, erleichtert mir die Arbeit insofern, dass sie in dem mir bekannten und an der Uni erlernten iranisch-persischen Dialekt (Farsi) schreiben. Ihre Muttersprache ist eigentlich das in Afghanistan gesprochene Dari, eine Variante des Persischen. Davon habe ich während meines Studiums natürlich gehört. Vielmehr durch meine afghanisch-deutsche Kommilitonin, welche damit zuweilen den Persisch-Unterricht bereicherte, als durch die Thematisierung dieser Tatsache in einem Nebensatz in irgendeinem Unterricht. Daraufhin fragte ich mich erneut: Iranistik – was bedeutet das eigentlich? Der Name lässt sofort an das Land Iran denken. Im Duden wird es als die „Wissenschaft von den iranischen Sprachen und Kulturen“ beschrieben. Ludwig Paul, Professor der Iranistik an der Uni Hamburg, definiert das Fach wie folgt: „Iranistik ist die Wissenschaft von den Völkern, Regionen und Ländern, die von der iranischen Kultur und Sprachen beeinflusst und wo iranische Sprachen gesprochen wurden bzw. werden.“[1] Ich selbst habe folgendes gelernt: In Iran werden nicht nur iranische Sprachen gesprochen und iranische Sprachen gibt es auch in anderen Ländern.

Die Karte von M. Izady zeigt die Verbreitung iranischer Sprachen in der Region.

Diese Karte[2] verdeutlicht diese Erkenntnis eindrücklich. Warum lernen wir dann neben Neupersisch wahlweise „nur“ Altpersisch, Mittelpersisch, Baktrisch, Sogdisch, Kurmandschi und Zazaki? Was ist mit Pashto, Dari, Tadschikisch und Sorani? Professor Paul dazu weiter in seinem Vortrag: „Es ist quasi leider so, dass der Schwerpunkt hier sehr stark iranbezogen ist. Ich sage leider deshalb, weil es sehr viele interessante Themen gibt, aber die meisten Studierenden kommen, sind von iranischem Hintergrund und Iran ist quasi das sozusagen wichtigste Land, mit dem man sich auch gegenwartsbezogen beschäftigt. Und so ist es bedingt, dass Iran etwas überrepräsentiert und andere Regionen wenig thematisiert werden.“[3] Dies ist insofern besonders interessant, da sich Iranist: innen, im Gegensatz zu beispielsweise Historiker: innen und Politikwissenschaftler: innen, in der Regel dadurch auszeichnen, dass sie Zugang zu originalsprachlichen Quellen wie auch den Menschen und ihrer gelebten Kulturen haben. So ist das heute. Und wie war das damals?

Auf den Schildern steht geschrieben: „Teheran ist nicht Iran“ und „Iran ist ein Land mit wenig Wasser“. Yazd, Iran ©Lisa Adolf

Dieser Metapher folgend möchte ich der These ‚Iranistik ist nicht gleich Iran‘ nachgehen. Mithilfe der im Rahmen des Projektes One Foot in the Past – One in the Future: Young Investigators and the Tradition of Middle Eastern Studies in Hamburg geführten Interviews[4]  werde ich versuchen, einen Einblick darin zu geben, wie sich in der Hamburger Iranistik der 1960er bis 1990er Jahre Wissenschaft, Politik und eigene Interessen gegenseitig bedingt und geformt haben und diesen in den geschichtlichen Kontext des Fachbereichs setzen.

Schirin Fathi, die 1989 ihr Promotionsstudium der Islamwissenschaft in Hamburg begann und dort damals (sowie bis 2020) unterrichtete, verglich: „[…] die Freiheit, die ich damals hatte, die ist nicht zu vergleichen mit heute. Heute ist es ja schon eher so, dass wir versuchen, ein möglichst einheitliches Curriculum zu etablieren. Das heißt, wir haben wiederkehrende Kurse und wir versuchen immer alle Bereiche abzudecken. Damals hat man halt unterrichtet, wozu man Lust hatte. Das hat natürlich auch negative Folgen gehabt. Also wir haben tatsächlich Islamwissenschaftler aus der Zeit, die nie was von Schia gehört haben. Oder nie was von Mittelalter. Weil Professoren nur das unterrichtet haben, was sie selber spannend fanden.“ Und was war das damals?

1951 wurde die Iranistik in die Prüfungsfächer aufgenommen. Ein Jahr zuvor hatte der Iranist Wolfgang Lentz (1900-1986) seine Lehrtätigkeit in Hamburg aufgenommen. Über die Schritte des außerplanmäßigen zum planmäßigen außerordentlichen Professor wurde er schließlich 1964 zum ordentlichen Professor ernannt. Aufgrund der damaligen rassistischen, antisemitischen Bestimmungen wurde ihm in den 30er Jahren eine Professur verwehrt. Denn: Seine Großmutter war Jüdin. Diese Tatsache hinderte die Wehrmacht wiederum nicht daran, ihn 1942 als Soldat einzuziehen und ihn in Jugoslawien einzusetzen, um kurdische Kriegsgefangene zu interviewen. Lentz konnte unter anderem Avestisch sowie Neupersisch und vertrat laut Ludwig Paul „die Iranistik in ihrer vollen Breite[5].
Werner Ende, der von 1977-1983 als Professor Gegenwartsbezogene Islamwissenschaft an der Hamburger Abteilung lehrte, beschrieb Lentz ebenso als Wissenschaftler mit einer unglaublichen Bandbreite. „Das gab‘s überhaupt damals schon kaum noch und heute ist das gar nicht mehr möglich“, bemerkte er. Er sei unglaublich belesen gewesen und interessierte sich im Besonderen für moderne persische Literatur. Ende fügte hinzu: „Lentz war ein besonderer Mensch.“ Auch Claus-Peter Haase, damaliger Student an der Universität Hamburg, Islamwissenschaftler mit einem Schwerpunkt auf Archäologie und islamische Kunst, sagte im Gespräch: „Ein sehr interessanter Forscher. Hat ärgerlich wenig verfasst und seine Seminare waren bei Kollegen und anderen gefürchtet, denn er pflegte richtig Wissenschaftskritik anzubringen. […] bei Lentz haben wir eigentlich die kritische Wissenschaft gelernt.“ Mit Bertold Spuler, dem damaligen Leiter des Fachbereichs, verstand Lentz sich nicht gut. Aus diesem Grund habe er viele Seminare in seiner Privatwohnung abgehalten. Werner Ende erzählte eine Geschichte, welche erneut verdeutlicht, dass Wissenschaft und Politik nicht einfach zu trennen sind. Als bedeutender Iranist wurde Wolfgang Lentz vom damals amtierenden Schah Mohammad Reza Pahlavi zur 2500-Jahr-Feier der Iranischen Monarchie eingeladen. Es gab deutsche Iranist: innen, die freudig nach Persepolis reisten, aber auch jene, welche der Einladung nicht folgten. Zu letzteren gehörte Lentz. Die Besonderheit lag darin, dass er die Einladung in einer öffentlichen Erklärung ablehnte, was viele seiner Kolleg: innen für unhöflich und taktisch unklug hielten. 1968 beendete er seine Lehrtätigkeit. Danach konnte die Professur drei Jahre lang nicht dauerhaft neu besetzt werden.

1971 wurde Ronald E. Emmerick (1937-2001) nach Hamburg berufen. Seine Kenntnisse und Arbeiten im Khotan-Sakischen machten ihn zu einer weltweit führenden Autorität in diesem Bereich. Herausragend in seinen Fähigkeiten war neben Kenntnissen in weiteren iranischen Sprachen die Tatsache, dass er auch Chinesisch, Sanskrit und Tibetisch beherrschte. Sprachen, ohne die er das Khotan-Sakische nicht hätte erforschen können.[6] Mit seinen Mitarbeitenden Dr. Gerd Gropp und dem Shahname-Spezialisten Dr. Khaleghi-Motlagh vertrat er in Hamburg weiterhin die Tradition der philologischen Iranistik. Alt- und Mittelpersisch, sowie Avesta und Neupersisch waren verbindlich zu erlernende Sprachen. Außerdem wurden Khotanisch, Sogdisch, Pashto und Ossetisch unterrichtet.[7] Jürgen Paul, der ab 1982 Islamwissenschaft in Hamburg studierte und anschließend ebenda promovierte, mutmaßte: „Von den lebenden Sprachen war Pashto meine ich das, was er [Emmerick] am tollsten fand. Und das hat man da gemerkt.“ Herr Haase merkte an, dass erst der Erfolg von Khaleghi-Motlaghs Shahname-Edition das Interesse Emmericks am Neupersischen weckte und er die dazugehörigen Seminare für sich vereinnahmen wollte. Vorher habe er, Werner Ende zufolge, kein Neupersisch gekonnt und sich auch nie sonderlich für den gegenwärtigen Iran interessiert. Ende über ihn: „[…] ein wirklich äußerst gelehrtes Haus und persönlich sehr sympathisch.“ Lediglich für kulturwissenschaftliche und historische Fragestellungen im neuiranischen Bereich fand eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen der Iranistik und der Islamwissenschaft statt.[8] Werner Ende bemerkte, dass die Zusammenarbeit unter Spuler und Lentz viel enger gewesen sei. Auch Schirin Fathi machte diese Erfahrung in den 1990er Jahren: „Es lief nebeneinander ab. Also man kannte sich, aber es war jetzt nicht so, dass man übergreifende Veranstaltungen gemacht hätte oder dass man irgendwie Studierende hin und her schickte und sagte, ah guck mal jetzt bei den Iranisten oder vielleicht wissen die was.“

Ende der 1970er Jahre wurde die Magister-Prüfung als Voraussetzung für die Promotion eingeführt. Zur Veränderung der Berufsperspektiven und -interessen äußerte Jürgen Paul: „Vorher war das in unserm Fach üblich, dass man direkt die Promotion anstrebte. Also die Erstsemester, die da kamen, die sahen sich dann in 5 Jahren als Doktories. Das ist eine Reaktion natürlich auf die Zunahme der Studierendenzahlen. Und auch auf die Ausdifferenzierung der möglichen Berufsfelder. Wo das Fach früher einfach den akademischen Nachwuchs selbst rekrutiert hat. Unter den fünf Leuten, die da jedes Jahr angefangen haben, alle zehn Jahre eben da Lehrstuhlnachfolger zu rekrutieren. Gibt es heute in viel größeren Möglichkeiten und weiter gefächerte Möglichkeiten. Der Staatsschutz war damals an Islamwissenschaftlern noch überhaupt nicht interessiert.“ Die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer habilitierte sich Anfang der 1990er in Hamburg und erläuterte hierzu: „Ja, also so die allgemeine Würdigung einer politiknahen, angewandten Wissenschaft war in den 80er Jahren noch nicht so weit verbreitet. Da hat sich manches geändert. Auch die Beurteilung journalistischer oder medialer Tätigkeit.“ Aus dieser Zeit geht auch das bis heute noch bestehende System der Iranistik-Bibliothek hervor. Jürgen Paul erinnerte sich: „Ich hab immer gesagt, wenn ich hier mal verrückt werde, dann liegt es an der iranistischen Bibliothek. […] Es war wirklich staubig. Die iranistische Bibliothek, da konnte man sich nicht lange aufhalten, weil das so verstaubt war. Und die Seminarräume und die Arbeitsräume für Mitarbeiter waren wirklich abgewetzt.“ Nicht nur „staubig“, sondern auch historisch ausgerichtet war die Iranistik laut Ursula Günther, ab 1988 Studentin der Islamwissenschaft an der Uni Hamburg und dort später in verschiedenen Gremien tätig. Das änderte sich ihrer Aussage nach mit Themen wie der Islamischen Revolution und der Salman-Rushdie-Affäre. „Und da hat eben Steinbach auch dazu noch ein Seminar gemacht und diese ganzen Debatten mit Iran und der Fatwa, und […] er ist ja so ein guter Redner mit einem Charisma. Wenn der redete, da funkelten die Augen, und die Studierenden saßen so da.“ Dr. Udo Steinbach leitete von 1976-2007 das Deutsche Orient-Institut. Das Institut spielte für den Fachbereich und die Studierenden eine wichtige Rolle. Insbesondere im Hinblick auf gegenwartsbezogene Themen war dessen Bibliothek sehr gut bestückt. Dr. Khalid Durán, von 1978-1986 Senior Fellow und Forscher am Orient-Institut, beschäftigte sich mit Fragen zu Afghanistan.[9] Ob er an der Uni Vorlesungen bzw. Vorträge hielt, konnte ich nicht in Erfahrung bringen.

In den 1990er Jahren verstärkte sich das politische Bewusstsein sowie der Wunsch, die Bildung auch außerhalb des „Elfenbeinturms“ einzusetzen, vor allem seitens der Studierenden, erneut. Die Islamwissenschaftlerin Verena Klemm, die sich damals an der Universität Hamburg habilitierte, sagte im Interview: „[…] dieses politische Bewusstsein, das in dieser Zeit einfach verstärkt wurde. Und das hatte eben nicht nur einen Fokus wie jetzt Scholl-Latour, und was gerade ganz aktuell war im Zuge des Zweiten Weltkriegs und der ersten, ja, das war Mölln, ja, wo so eine Flüchtlingsunterkunft oder -haus mit Migranten drin in Flammen gesetzt wurde; sondern wir hatten eben auch noch andere politisch relevante Felder, wo wir uns auch betätigt haben. Und da kam diese Fachgeschichte in den Blick. Und ich denke, es könnte vielleicht die Hedwig-Klein-Geschichte[10] gewesen sein, die uns damals bekannt wurde.“ Dieser Satz machte mir nochmal bewusst, wie wichtig auch dieses Projekt, unter dem dieser Artikel zustande kommt, ist. Wir müssen sowohl die Geschichte unseres Fachs als auch das, was heute gelehrt (und nicht gelehrt) wird, neugierig und kritisch hinterfragen. Denn: Wenn zum Beispiel nie Tadschikisch unterrichtet wird, ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine:r der Studierenden bei eigenen Forschungen tadschikische Quellen hinzuziehen oder untersuchen kann und möchte, eher gering. Auch das ist im weiteren Sinne eine politische Entscheidung oder wenigstens eine Entscheidung mit politischen Folgen.

Emmerick lehrte bis 2001 an der Uni Hamburg und verstarb im selben Jahr. Nach seinem Tod wurde der Fachbereich mit voller Wucht von der Sparwelle erfasst. Die personellen (2003 Einstellung des Lektors Ramin Shaghaghi, 2004 Berufung von Ludwig Paul) sowie strukturellen (Einführung der B.A.-/M.A.-Studiengänge) Veränderungen erforderten eine Umstrukturierung des Fachs.[11] Der heutige Fokus liegt, wie eingangs bereits erwähnt, auf Iran, dem Neupersischen sowie der (west)iranischen Dialektologie. So bleibt der Schwerpunkt in Iran verankert und die Sprachinteressen, bedingt durch die Schwerpunkte des neuen Lehrstuhlinhabers Paul und die seines Vorgängers Emmerick, schwanken ein wenig zwischen Ost und West. Tadschikisch, Pashto oder Balutschi werden weiterhin nicht unterrichtet. Daran „fehlt“ das Interesse – oder – der (wissenschaftspolitische) Wille?


[1] PAUL, Ludwig: „Was ist Iranistik? Vom Jüdisch-Persischen zum iranischen Nationalismus“. Vortrag an der UHH 2014, https://lecture2go.uni-hamburg.de/l2go/-/get/v/16454#download [Zugriff 26.07.2021]

[2] Wir danken M. Izady für die Bereitstellung der Karte, https://gulf2000.columbia.edu/images/maps/Iranic_Languages_lg.png [Zugriff 03.08.2021].

[3] PAUL: „Was ist Iranistik?“.

[4] Mara Hildebrandt und ich führten im Zeitraum von Mai bis Juli 2019 Interviews mit ehemaligen Mitgliedern der Abteilung Vorderer Orient an der Uni Hamburg.

[5] PAUL, Ludwig: „Zur Geschichte des Arbeitsbereichs Iranistik“, in: Ludwig PAUL (Hrsg.): Vom Kolonialinstitut zum Asien-Afrika-Institut: 100 Jahre Asien- und Afrikawissenschaften in Hamburg (Deutsche Ostasienstudien), Gossenberg 2008, S. 158f.

[6] Ebd., S. 160f.

[7] FRAGNER, Bert G.: „Iranistische und iranbezogene Studien in der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin“, in Opus, Bamberg 2018, https://fis.uni-bamberg.de/bitstream/uniba/42499/1/StudienOCR_A3a.pdf [Zugriff 26.07.2021], S. 25.

[8] Ebd.

[9] Ebd.

[10] Hedwig Klein war während des Nationalsozialismus Promovendin des Islamwissenschaftlers Rudolph Strothmann, mit Hauptfach Semitistik. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft war ihr der Doktortitel vonseiten des Dekans verwehrt worden, 1942 wurde sie nach Auschwitz verschleppt und ermordet. Siehe hierzu: Achim ROHDE: „Elfenbeinturm revisited – Zur Geschichte der Orientalistik im Nationalsozialismus: Das Beispiel der Hamburger Universität“, in: Orient – Zeitschrift des Deutschen Orientinstituts 2 (2003), S. 435-460.

[11] PAUL, Ludwig: „Zur Geschichte des Arbeitsbereichs Iranistik“, in: Ludwig PAUL (Hrsg.): Vom Kolonialinstitut zum Asien-Afrika-Institut: 100 Jahre Asien- und Afrikawissenschaften in Hamburg (Deutsche Ostasienstudien), Gossenberg 2008, S. 161.

Literatur

FRAGNER, Bert G.: „Iranistische und iranbezogene Studien in der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin“, in Opus, Bamberg 2018, https://fis.uni-bamberg.de/bitstream/uniba/42499/1/StudienOCR_A3a.pdf [Zugriff 26.07.2021]

PAUL, Ludwig: „Was ist Iranistik? Vom Jüdisch-Persischen zum iranischen Nationalismus“, Vortrag in der Reihe „Was wie wofür studieren“ der Universität Hamburg (2014), https://lecture2go.uni-hamburg.de/l2go/-/get/v/16454#download [Zugriff 26.07.2021].

PAUL, Ludwig: „Zur Geschichte des Arbeitsbereichs Iranistik“ in Ludwig Paul (Hg.): Vom Kolonialinstitut zum Asien-Afrika-Institut: 100 Jahre Asien- und Afrikawissenschaften in Hamburg (Deutsche Ostasienstudien), Gossenberg 2008, S. 156-162.

ROHDE, Achim: „Elfenbeinturm revisited – Zur Geschichte der Orientalistik im Nationalsozialismus: Das Beispiel der Hamburger Universität“, in: Orient – Zeitschrift des Deutschen Orientinstituts 2 (2003), S. 435-460.

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Orientalismus in der Geschichte der Universität Hamburg

Orientalismus – Was ist das?

Die Kritik an der westlichen Orientalistik entwickelte sich im 20. Jahrhundert. Geschuldet ist das salafistischen Einflüssen, die in der westlichen Wissenschaft eine Gefahr für den Islam sahen. Nebst diesen gab es eine sich ab den 60er Jahren entwickelnde neue Art von Orientalismus-Kritikern.[1] Sie waren weder national gebunden noch religiös.[2] Sie analysierten die Schriften westlicher Wissenschaftler und kritisierten deren Darstellungen als „Angriff auf den Islam“.[3] Ein Vorwurf, der die Kritiker eint, ist der „geistige Imperialismus“. Für traditionelle Kritiker ist dieser vor allem „christlich, jüdisch-zionistisch oder marxistisch“ beeinflussten Orientalisten geschuldet, linke Kritiker erkannten ihn eher als vom Kolonialismus/Imperialismus geprägt.[4] Demnach lautet auch die Kernaussage von Edwards Saids „Orientalism“ von 1978: Das imperiale Machtbestreben des Westens erzeugt ein Wissen über den Orient, das nach eigenem hegemonialem Interesse geformt ist, um ihn („kulturell, politisch, wirtschaftlich“) zu dominieren.[5] Der Orient werde somit entgegen seiner Vielfalt[6] essenzialisiert und zu einer zeitlich unbegrenzten Entität reduziert.[7] Er werde im Gegensatz zum zivilisierten[8], vernunftgesteuerten, humanen[9], fortschrittlichen[10] Westen als exotisch, gewalttätig[11] barbarisch[12], irrational[13], despotisch und rückständig dargestellt. Letzteres sei zusätzlich seiner patriarchalen Neigung geschuldet. Zudem gelte der Orientale/ die Orientalin als sexuell zügellos.[14]

Beim Orientalismus dient „der Islam“ als Einheitskategorie.[15] Stand dieser im Mittelalter im Gegensatz zum Christentum[16], konzentriert sich der heutige Orientalismus auf „den Westen“ versus „den Islam“.[17]  

Kritik am Orientalismus

Saids These hat in den Nachfolgejahren die sogenannte Okzidentalismus-Kritik hervorgerufen. Danach würde Said die Zweiteilung „Westen vs. Orient“ verankern und „ahistorisch“ begründen, indem er den Orientalismus geschichtlich nicht kontextualisiere, sondern ihn als über Jahrhunderte hinweg bestehend hinnehme.[18] Ein solcher „Orientalism in reverse“ essentialisiere nach Sadik Jalal al-ʿAzm auf ähnliche Weise.[19] Neu sei dabei nicht die Methodik, sondern die Schlussfolgerung, die die Überlegenheit des Orients bezeuge. Nunmehr treibe die arabische Nation die Gesellschaft voran und hole sie aus dem Zustand der materialistischen Dekadenz, den ihr der Westen aufgezwungen habe. Hinzu käme eine „revisionistische Linie politischen Denkens“. Hierbei sei das „Heil der Nation“ nicht in säkularen westlichen Ideologien zu finden ist, sondern nur in einem „popular political Islam“. Ein wichtiges Merkmal dieser Bewegung sei die „nationale Befreiung von einer imperialistischen Herrschaft“.[20] Der Westen und seine Ideologien, allen voran der Kapitalismus, würden laut Buruma und Margalits Okzidentalismus-Definition von 2004 in Verbindung mit einer unbegrenzten Sexualität gedacht und als bedrohlich empfunden.[21] Der Okzidentalismus ähnelt nicht nur dem Orientalismus, auch ist er sein Produkt. Während der Orientalismus in Verbindung mit Kolonialismus, Imperialismus, Islamfeindlichkeit, Verwestlichung und westlicher Modernität steht, ist der Okzidentalismus geprägt von Anti-Kolonialismus, Anti-Imperialismus, Anti-Verwestlichung und einer islamischen Moderne.[22]

Die postkoloniale Wende

Die Kolonialismuskritik etablierte sich zunächst vor allem in den Literatur- und Kulturwissenschaften und gewann insbesondere im amerikanischen Raum Gehör. Erst später wurde sie auch von weiteren (vorerst englischsprachigen) Wissenschaften aufgenommen. Weltweit gewannen postkoloniale Theorien ab den 1990ern an Fahrt.[23] Diese kritisieren die Auswirkungen des Kolonialismus bis in die Gegenwart. Sie äußern nicht nur materielle (…) Missstände in ehemalig kolonialisierten Ländern, sondern auch geistige wie in etwa Eurozentrismus und Rassismus und deren Auswirkungen auf verschiedene Bereiche (Wissenschaft, Politik, Gesellschaft usw.).[24]

Vorhaben und Rotters Forschung

Hingegen wurde die Orientalismus-Kritik nach ihrem Erscheinen bis in die 90er Jahre im deutschsprachigen Raum wenig beachtet.[25] Fraglich ist, inwieweit sie dennoch Anschlag fand und Aspekte zur islamischen Welt nunmehr nach postkolonialem Schema behandelt wurden.

Diese Überlegung legte eine Beschäftigung mit Gernot Rotter, der von 1984 bis 2003 die Professur für „Gegenwartsbezogene Orientalistik“ an der Universität Hamburg innehatte, und seiner Forschung nah.[26] Hervorzuheben sind zwei Schwerpunkte: A) Rotters Analysen zum „Feindbild Islam“ in den deutschen Medien sowie im internationalen Raum und b) zum Pendant, dem „Feindbild Westen“ im Zuge seiner Beschäftigung mit dem Islamismus. Gernot Rotter war es ein besonderes Anliegen für die Öffentlichkeit zu schreiben.[27] Eine klare Aussage durchzieht seine Essays: die Forderung nach einem Dialog und dem Schaffen gegenseitigen Verständnisses.

Rotter kann kein expliziter Einfluss durch Saids „Orientalism“ unterstellt werden. In den Literaturverzeichnissen zu seiner Forschung – soweit vorhanden[28] – ist weder Saids Werk vermerkt noch bezieht er sich direkt auf den Orientalismus. Dennoch war er ihm bekannt. So beschrieb er in einem Artikel der Tageszeitung taz von 1997 die Kritik an der Orientalistik. Er nannte darin Vorwürfe sowohl traditioneller als auch moderater Kritiker, die „weiterhin die westliche Orientalistik in die verständliche Kritik gegen den westlichen Kulturimperialismus“ aufnähmen[29]:

 „Besonders ungerecht behandelt fühlten sich viele OrientalistInnen durch ein englisches Buch des renommierten palästinensischen Literaturkritikers Edward Said, das 1978 erschien und den Titel „Orientalism“ trägt. Auch wenn Said zuweilen stark ver-allgemeinert und manchen OrientalistInnen unlautere Absichten unterstellt, wo vielleicht nur Ungeschicklichkeit oder Unwissen vorliegt, so bleibt doch der Grundgedanke seiner Kritik im Raum stehen: OrientalistInnen – nicht nur in der Vergangenheit – betrachten den Orient im allgemeinen und den Islam im besonderen [sic] aus einem Blickwinkel eurozentrischer Arroganz, ja schlimmer, sie haben den „Orient“ überhaupt nur erfunden, um ihn von der zivilisierten Weltgemeinschaft zu trennen und zu beherrschen. Daß dieser Vorwurf eine wunde Stelle getroffen hat, zeigt die rege Debatte, die er hervorgerufen hat. Und dies vielleicht auch deswegen, weil man Edward Said keine „islamische Verbohrtheit“ vorwerfen kann, denn er ist Christ und politisch eher links einzuordnen.“ [30]

Feindbild „Islam“

Den Anstoß zum Themenkomplex „Feindbild Islam“ in der Abteilung Vorderer Orient der Universität Hamburg bot die Fernsehsendung „Veranda“ des ZDF 1991, in der der Tübinger Islamwissenschaftler Heinz Halm in eine Streitdiskussion mit den „Nahostexperten“ Peter Scholl-Latour und Gerhard Konzelmann involviert war. Die Diskussion wurde von letzterem dominiert und löste in der Hamburger Abteilung Entrüstung über die selbsternannten Islamexperten aus. Die Gründung der Gruppe „Konzeltour“, die es sich zur Aufgabe machte, die „Expertise“ der medialen Persönlichkeiten Scholl-Latour und Konzelmann zu untersuchen, wurde von Gernot Rotter begleitet.[31] Im Rahmen des Projektes stieß Rotter in verschiedenen Büchern Konzelmanns auf eine Reihe von Textabschnitten, die dieser aus Rotters eigenen Veröffentlichungen entnommen, jedoch nicht gekennzeichnet hatte.

Gernot Rotter an seinem Schreibtisch in der Abteilung an der Rothenbaumchaussee, Fotografie entnommen aus Paul, Ludwig (Hrsg.): Vom Kolonialinstitut zum Asien – Afrika – Institut. 100 Jahre Asien – und Afrikawissenschaften in Hamburg. Hamburg: Ostasien Verlag, 2008.

In seinem dazu verfassten Werk „Allahs Plagiator. Die publizistischen Raubzüge des „Nahostexperten“ Ger-hard Konzelmann[32]“ veranschaulicht er einerseits die Bandbreite des Plagiats und andererseits zwei orientalistisch geprägte Bilder des Islams:

 a) Das triebhafte Bild: Konzelmann konstruiere den Muslim des frühen Islams als sexuell zügellos.[33]

b) Das aggressive Bild: Konzelmann schüre in der Öffentlichkeit das Bild eines besonders gewaltvollen und fanatischen Islams.[34]

Zudem unterstreiche er seine Aussagen durch übertriebene Metaphorik, verschweige Gegenbeispiele und verfälsche, um seine Bilder zu stärken.[35]

Auch in weiteren Essays und Artikeln beruft sich Rotter immer wieder auf mediale Verzer-rungskünste. Dabei konzentriert er sich im Rahmen einer anwachsenden Islamophobie[36] insbesondere auf zeitgenössische Geschehnisse. Auffällig sei für ihn eine stark vereinfachte, generalisierende Darstellung komplizierter Realitäten.[37] Kritisch sei dabei besonders die Vereinheitlichung des Islams: Das „exotische“ Bild von dem einen Islam werde in den Medien meist negativ besetzt, in etwa als „Bedrohung“ und Gegner der westlichen Kultur.[38] „Brutale Aggressivität, Despotismus und Intoleranz“ spielten eine besondere Rolle in der Feindbilddarstellung[39], wobei es sogar zu einer Gleichsetzung des Islams mit dem Fundamentalismus komme.[40] Die vermeintliche Aggressvität der islamischen Kultur werde laut Rotter häufig durch „Irrationalität, Hysterie und Fanatismus“ erklärt. Weiterhin sei populär, die untergeordnete Stellung der Frau als Feindbildmerkmal aufzunehmen.[41]

In seinen Feindbildanalysen bezieht sich Gernot Rotter immer wieder auf Samuel Huntingtons Clash of Civilizations, welches 1993 als Artikel in der Zeitschrift Foreign Affairs und 1996 als gleichnamiges Buch erschien[42] – ein Werk, welchem sich auch Said in den Folgejahren kritisch widmen sollte.[43] Besonders fokussiere sich dieser auf den Konflikt zwischen „dem Westen“ und „dem Islam“.[44] Auch er teile die bereits beschriebenen Feindbildmerkmale einer vom Islam ausgehenden Aggression und Bedrohung. Der aufkeimende Terrorismus der vergangenen Jahre scheine seine These zu bestätigen. Dabei deckt Rotter auf, dass Huntingtons Argumentation derer islamischer Fundamentalisten ähnele:[45]

„‚Naturgemäß‘, lesen wir im 1993 veröffentlichten Buch eines ägyptischen Islamisten, ‚muß es zu einem Zusammenstoß zwischen zwei Kulturen kommen, von denen die eine Freiheit, Einheit, Gerechtigkeit, Gleichheit, Rassentoleranz und sittliche Verantwortung repräsentiert, während die andere für Unglauben, Zwang, Gewalt, Despotismus, Unterdrückung, Rassismus und sittenwidriges Profitstreben steht.‘“[46]

Feindbild „Westen“

„Ebenso undifferenziert, wie vielfach unser Bild vom Islam gezeichnet wird, ist oft auch das von islamistischen Autoren entworfene Zerrbild vom Westen.“[47] 

Islamisten schimpften gegen den westlichen Materialismus. Dieser spiegele sich in der „geistigen Dekadenz“, d.h. dem „materialistischen antireligiösen“ Denken, das zum Sittenverfall füh-re, wider. Besonders betonten sie die negativen Folgen der weiblichen Promiskuität[48] wie auch des Kapitalismus.[49] Westliche Einflüsse müssten abgewendet werden.[51] Dies habe zu einer Hinwendung zum Islam geführt.[50] Dabei werde die eigene Kultur – dem Westen nicht unähnlich – idealisiert. So führt Rotter das Beispiel Anwar al-Ǧundīs (st. 2002) an, der die islamische Kultur als „nicht feindselig, nicht aggressiv, nicht kolonialistisch und nicht herrschsüchtig“ beschreibt. Die islamische Kultur und nicht der Westen führe zu Wissen und Zivilisation.[52]

Islamisten bewiesen laut Rotter ein „ungebrochenes Geschichts-bewusstsein“. Für den „gläubigen Moslem“ gebe es lediglich die vorislamische Zeit und die Zeit der islamischen Offenbarung. Der Kontakt mit dem Westen würde nicht als historische Zäsur verstanden, sondern als weiterer „Versuch den Islam zu vernichten“.[53] Der Islam sei für ihn „eine Heilsgeschichte, die […] bis heute andauert und gegen westliche Hegemonialbestrebungen verteidigt werden muss.“[54] Islamisten kritisieren demnach einen aggressiven „anti-islamischen Expansionsdrang“ des Westens.[55] Die nunmehr westliche Aggressivität äußert sich militant, aber auch wirtschaftlich und kulturell. Insbesondere seit dem 19. Jahrhundert meinen sie die Absicht des Westens zu erkennen, die islamische Welt auseinanderzutreiben, an ihre Ressourcen zu gelangen und zu degradieren.[56] Dabei würden vor allem die Kreuzzüge sowie die Spanische Inquisition als Vergleiche herangezogen, deren „Fortsetzung“ alle westlichen Einmärsche bis heute seien. Zusätz-lich verwiesen sie auf die Geschehnisse der Staatsgründung Israels[57], das als eine Art westlicher „Neokolonialismus“ verstanden werde.[58]

Deutlich werde laut Rotter das Bedürfnis, Vorurteile und einen „bedrohlichen Überlegenheits-anspruch“ abzuwehren. Das Feindbild „Islam“ habe demnach die Produktion des Feindbilds „Westen“ provoziert.[59] Dabei entstehende Verschwörungsängste seien aufgrund der historischen Erfahrungen nicht verwunderlich – auch nicht, dass Widersprüche zwischen vom Westen proklamierten Grundrechten und seinem tatsächlichen Verhalten angemahnt würden.[60] Wichtig sei eine kritische Selbstreflexion[61] und, dass die Vorwürfe anerkannt würden.[62] Denn je widersprüchlicher sich der Westen verhielte und entgegen islamischer Interessen wirke, desto größer werde auch der Fundamentalismus/Terrorismus.[63] Und mit dem Anstieg fundamentalistischer Gruppen und einer steigenden Angst des Westens gegenüber dem Islam, würde ein Dialog zwischen den Kulturen abgewendet – womit sich auch Huntingtons These als eine self-fulfilling prophecy[64] bewiesen hätte.

Schlussfolgerung

Der Eintrag hat gezeigt, dass im Hinblick auf gegenwartsbezogene Orientwissenschaft in Hamburg die Said‘sche Kritik durchaus Gehör fand, wenn auch sich ihre Wirkungskraft eher im Hintergrund hielt.

So betont Rotter durchaus orientalistische Zerrbilder, die auch die Orientalismus-Kritik offenbart. Im Gegensatz zu Said argumentiert er aber auch nach okzidentalistischem Schema. Hierbei unterstellt er der islami(sti)schen Seite eine ebenso undifferenzierte Feindbilddarstellung. Es ist jedoch festzuhalten, dass Rotters Forschung nicht explizit das Konzept Saids sowie das der darauffolgenden Okzidentalismus-Kritik aufgenommen hat. Er konzentriert sich weniger auf theoretische Aspekte oder im Hintergrund wirkende Absichten. Demnach äußert er nicht direkt, dass das Feindbild durch ein imperiales Interesse, das eine Dominanz über den Orient wünscht, entstanden ist. Die Imperialismus-Kritik schildert Rotter lediglich passiv im Sinne einer kritischen Beschäftigung mit dem Feindbild „Westen“ und dem Vorwurf eines „aggres-siven Expansionsdrangs“. Inwiefern er dem Westen imperiale Absichten unterstellt, geht nicht aus seiner Forschung hervor. Er fokussiert sich eher auf die Konsequenzen einer orientalistischen bzw. okzidentalistischen Denkweise, sprich mit Ergebnissen, die sich in den jeweils zugeschriebenen Attributen der Feindbilddarstellungen, seiner Produzenten und deren Methoden, aber auch in geschichtlichen und politischen Ereignissen widerspiegelt.

Zusammengefasst sind daher Tendenzen sowohl Said‘scher Argumentation als auch Gegenargumentation unter dem Aspekt „einer Aufklärung wechselseitiger Feindbilder“[65] zu erkennen. Und zumindest scheint Saids Kritik als auch die weiterer, u.a. auch traditioneller Gelehrter, zumindest ein Anreiz gewesen zu sein, sich mit beiden Seiten im Sinne eines wechselseitigen Dialogs kritisch auseinanderzusetzen.

Literatur

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[1] Vgl. Ekkehard RUDOLPH: Die westliche Islamwissenschaft im Spiegel muslimischer Kritik. Gründe und aktuelle Merkmale einer innerislamischen Diskussion, Berlin 1991, http://menadoc.bibliothek.uni-halle.de/iud/content/structure/308955, [Zugriff 23.07.2021], S. 190ff.

[2] Vgl. ebd., S. 175.

[3] Vgl. ebd., S. 192.

[4] Vgl. ebd., S. 7.

[5] Vgl. Bernd ADAM: Saids Orientalismus und die Historiographie der Moderne: der „ewige Orient“ als Konstrukt westlicher Geschichtsschreibung, Hamburg 2013, S. 30.

[6] Vgl. James G. CARRIER: Occidentalism. Images of the West, New York 1995, S. 8.

[7] Vgl. ebd., S. 2.

[8] Vgl. ADAM: Saids Orientalismus und die Historiographie der Moderne, S. 52.

[9] Vgl. Ina KERNER:  Postkoloniale Theorien zur Einführung, Hamburg 2012, S. 72 vgl. Edward W. Said: Orientalismus, 4. Auflage, Frankfurt am Main 2014, S. 345.

[10] Vgl. ADAM: Saids Orientalismus und die Historiographie der Moderne, S. 50.

[11] Vgl. Thomas SCHMIDINGER (o.A.): „Orientalismus und Okzidentalismus. Zur Einführung in die Begrifflichkeiten und die Debatte“, https://homepage.univie.ac.at/thomas.schmidinger/php/lehre/orientalismus_okzidentalismus.pdf, [Zugriff: 26.07.2021].

[12] Vgl. ADAM: Saids Orientalismus und die Historiographie der Moderne, S. 52.

[13] Vgl. o.A.: „Orientalismus und Okzidentalismus“, in: IslamiQ, http://www.islamiq.de/2014/05/01/orientalismus-und-okzidentalismus-realitaet-beschreiben-und-verstehen/, [Zugriff: 26.07.2021].

[14] Vgl. KERNER: Postkoloniale Theorien, S. 72.

[15] Vgl. Gudrun KRÄMER: „Unterscheiden und Verstehen: Über den Nutzen und Missbrauch der Islamwissenschaft“, in: Abbas Poya / Maurus Reinkowksi (Hrsg): Das Unbehagen in der Islamwissenschaft, Bielefeld 2008, S. 265.

[16] Vgl. Edward W. SAID: „Islam as News“, in: Bayoumi, Moustafa / Rubin, Andrew (Hrsg): The Edward Said Reader, New York 2000, S. 198/199f.

[17] Vgl. Ebd., S. 203/204.

[18] Vgl. SCHMIDINGER: „Orientalismus und Okzidentalismus.“

[19] Vgl. ADAM: Saids Orientalismus und die Historiographie der Moderne, S. 70f.

[20] Sadik Jalal AL-ʿAZM: „Orientalism and Orientalism in Reverse“ (1981); in: Alexander MACFIE (Hrsg): Orientalism. A Reader, New York 2000, S. 231-34.

[21] Vgl. SCHMIDINGER: „Orientalismus und Okzidentalismus“.

[22] Vgl. Ehsan BAKHSHANDEH: Occidentalism in Iran. Representatiosn of the West in the Iranian Media, New York / London 2015, S. 151f.

[23] Vgl. Harald FISCHER-TINÉ (2010): „Postcolonial Studies“, in: EGO European History Online: http://ieg-ego.eu/en/threads/theories-and-methods/postcolonial-studies#TheFormationofPostcolonialViewssince1980 [Zugriff 23.07.2021]

[24] Vgl. KERNER:  Postkoloniale Theorien zur Einführung, S. 9; 12.

[25] Vgl. Isolde KURZ: Vom Umgang mit anderen. die Orientalismus-Debatte zwischen Alteritätsdiskurs und interkultureller Kommunikation, Berlin 2000, S. 111.

[26] Vgl. o.A.: „Katalogeintrag. Rotter, Gernot“, https://www.hpk.uni-hamburg.de/resolve/id/cph_person_00002903, [Zugriff 23.07.2021].

[27] Vgl. Christian MEIER: „‚Mich reizen skurrile Zusammenhänge.‘ Ein Gespräch mit Gernot Rotter“, in: Benjamin Jokisch (Hrsg): Fremde, Freunde und Kurioses. Innen- und Außenansicht unseres muslimischen Nachbarn, Berlin 2009, S. 11.

[28] Ich beziehe mich folglich auch auf viele Zeitschriftenartikel Rotters, denen eine Literaturangabe fehlt.

[29] Gernot ROTTER (1997): „Raus aus den Studierstuben“, in: taz archiv: https://taz.de/!1415968/, [Zugriff 23.07.2021].

[30] Gernot ROTTER (1997): „Raus aus den Studierstuben“, in: taz archiv: https://taz.de/!1415968/, [Zugriff 23.07.2021].

[31] Gernot ROTTER: Allahs Plagiator. Die Raubzüge eines „Nahostexperten” Gerhard Konzelmann, Heidelberg 1992, S. 10ff.

[32] Gerhard Konzelmann war von 1981-85 Korrespondent der ARD im Nahen Osten und auch danach weiterhin als Fachexperte medial präsent. Vgl. o.A. (2008): „Gerhard Konzelmann gestorben“, in: Der Tagespiegel, https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/weltspiegel-gerhard-konzelmann-gestorben/1244144.html, [Zugriff 23.07.2021].

[33] ROTTER: Allahs Plagiator, S. 90-111.

[34] Ebd., S. 112-122.

[35] Ebd., S. 90-122.

[36] Gernot ROTTER: „Islam versus Westen. Historische Realität und ideologischer Reflex“, in: Klaus J. Bade (Hrsg): Menschen über Grenzen. Grenzen über Menschen. Die multikulturelle Herausforderung, München 1996, S. 71.

[37] Gernot ROTTER: „Feindbildproduktion. Der Islam und sein Zerrbild in den Medien, in: Hanne-Margret Birckenbach / Uli Jäger / Christian Wellmann (Hrsg): Jahrbuch Frieden 1993. Konflikte, Abrüstung, Friedensarbeit, München 1993, S. 70f.

[38] Gernot ROTTER: „Vorwort“, in: Gernot Rotter (Hrsg): Die Welten des Islam. Neunundzwanzig Vorschläge das Unbekannte zu verstehen, Frankfurt am Main 1993, S. 9. 

[38] ROTTER: „Feindbildproduktion“, S. 73.

[40] ROTTER: „Islam versus Westen“, S. 60.

[41] ROTTER: „Feindbildproduktion“, S. 74f.

[42] Vgl. Edward W. SAID: „Die Phrase vom ‚Zusammenprall der Kulturen’. Eine Kritik an Samuel P. Huntington”, in: Georg Stein / Volker Windfuhr (Hrsg): Ein Tag im September. 11.9.2001. Hintergründe, Folgen, Perspektiven, Heidelberg 2002, S. 179f.

[43] Vgl. ebd., S. 179-187, u.a.

[44] ROTTER: „Islam versus Westen“, S. 61.

[45] Ebd., S. 61.

[46] Gernot ROTTER(1998): „Satanischer Westen, dämonischer Islam”, in: Der Spiegel, https://www.spiegel.de/spiegel/spiegelspecial/d-7810264.html, [Zugriff 10.03.2019].

[47] Gernot ROTTER: „Wurzeln der Angst. Das Feindbild der anderen Seite“, in: Rotter, Gernot (Hrsg): Die Welten des Islam. Neunundzwanzig Vorschläge das Unbekannte zu verstehen, Frankfurt am Main 1993, S. 222.

[48] ROTTER: „Feindbildproduktion“, S. 78.

[49] ROTTER: „Islam versus Westen“, S. 66.

[50] Gernot ROTTER: „Woher kommt der Haß?“, in: Georg STEIN / Volker WINDFUHR (Hrsg): Ein Tag im September. 11.9.2001. Hintergründe, Folgen, Perspektiven, Heidelberg 2002, S. 33.

[51] ROTTER: Islam vs. Westen“, S. 66.

[52] ROTTER: „Wurzeln der Angst“, S. 222.

[53] Vgl. Gernot ROTTER (1995): „Finsternis aus dem Westen“, in: Der Spiegel, https://www.spiegel.de/politik/finsternis-aus-dem-westen-a-51f6f687-0002-0001-0000-000009207981[Zugriff 23.07.2021].

[54] ROTTER: „Woher kommt der Haß?“, S. 33.

[55] Gernot ROTTER (2003): „Weltmacht Islam. Die Utopie vom Frieden“, in: Der Spiegel, https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/27460400, [Zugriff 23.07.2021].

[56] ROTTER: „Islam vs. Westen“, S. 62-64.

[57] Frankreich und Grossbritannien gaben das Versprechen eines arabischen Gesamtstaates und entschieden sich insgeheim zu einer Aufteilung in Nationalstaaten (Skyes-Picot 1917). Ebenso gaben sie das Versprechen eines jüdischen Staats (Balfour 1917), und auch dies geschah, ohne Abmachung mit den dort ansässigen Palästinensern. Rotter: „Islam vs. Westen“, S. 64f.

[58] ROTTER: „Wurzeln der Angst“, S. 221.

[59] ROTTER: „Feindbildproduktion“, S. 79.

[60] ROTTER: „Finsternis aus dem Westen“.

[61] ROTTER: „Islam vs. Westen“, S. 65.

[62] ROTTER: „Woher kommt der Haß?“, S. 35f.

[63] ROTTER: „Islam versus Westen“, S. 72.

[64] ROTTER: „Feindbildproduktion“, S. 79.

[65] Vgl. Universitätsarchiv Hamburg, Best.201f Abt. 6 Personalabteilung, Nr. 49.

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Eingreifen oder Abtun? Wie sollte die Islamwissenschaft mit selbsternannten „Nahostexperten“ umgehen?

 

Der Umgang mit den Medien und sogenannten „Nahost-Experten“ ist für Islamwissenschaftler:innen ein immer wiederkehrendes Thema. Wie sollte mit grob-verallgemeinernden Thesen zu dem Islam, den Arabern, den Muslimen und dem Nahen Osten umgegangen werden, die sich in der Öffentlichkeit sehr großer Beliebtheit erfreuen? Wie können Stereotype und Generalisierungen dekonstruiert werden und dabei aber verständlich an die Öffentlichkeit getragen werden? Oftmals erscheint es bei diesen politisierten Themen sehr schwer, Inhalte differenziert und dennoch für die Allgemeinheit verständlich zu erklären und sich dabei nicht die Worte im Mund verdrehen zu lassen.

Vielleicht genau aus diesem Bewusstsein heraus hat sich die deutsche Islamwissenschaft – vormals Orientalistik – lange Zeit auf historische und linguistische Themenschwerpunkte konzentriert und somit öffentlichkeitsrelevante Themen ignoriert. Dies führte auch Edward Said dazu, in seinem Buch Orientalism[1] die deutsche Islamwissenschaft von dem Vorwurf auszuklammern, die Wissenschaft habe den Boden für den Kolonialismus bereitet und genährt – wie in Frankreich und England. Diese These von Said wurde oft kritisiert und auch ein Blick auf die Entstehung der Islamwissenschaft in Hamburg am Kolonialinstitut erzählt eine andere Geschichte. Insgesamt wurde einerseits das Buch von Edward Said nicht so zentral für die Islamwissenschaft in Deutschland wie beispielsweise in England oder den USA. Andererseits nahmen einige doch auch das Buch von Edward Said zum Anlass, die Bedeutung der Islamwissenschaft – auch für die Politik und breitere Öffentlichkeit – zu reflektieren.[2] Und obwohl auch immer mehr Islamwissenschaftler:innen im Bereich des Journalismus tätig sind, drängen doch immer wieder selbsternannte Islam- oder Nahost-Expert:innen (oft verwischen hier die Grenzen) in den Vordergrund der Mainstream-Medien.

Der Expertennachwuchs

So auch der Journalist Constantin Schreiber, der seit etwa 15 Jahren in Deutschland und auch mehreren arabischen Ländern tätig ist. Für seine Fernsehsendung auf n-tv Marhaba – Ankommen in Deutschland gewann er 2016 den Grimme-Preis.[3] Darin erklärt er auf Hocharabisch, wie der Deutsche lebt und denkt. Allein seine häufigen Aufenthalte in verschiedenen arabischen Ländern und seine sehr guten Arabischkenntnisse verliehen ihm unter deutschen Zuschauern ein hohes Ansehen und Autorität als „Experte“. Vielleicht dadurch beflügelt veröffentlichte er 2017 das Buch Inside Islam – Was in Deutschlands Moscheen gepredigt wird für das Schreiber 13 deutsche Moscheen besuchte und deren Freitagsgebete auswertete, um daraus Aussagen über die Muslime in Deutschland zu treffen. Darauffolgend veröffentlichte Schreiber im Jahr 2019 das Buch Kinder des Koran – Was muslimische Schüler lernen in dem Schreiber Schulbücher aus Afghanistan, Iran, Türkei, Palästina und Ägypten analysiert, um daraus Schlüsse über eben diese Gesellschaften zu ziehen.[4] Beide Bücher landeten auf den oberen Plätzen der Spiegel-Bestsellerliste, wobei es fraglich ist, ob sie dies trotz oder gerade wegen ihren verallgemeinernden und polemisch anmutenden Kernaussagen taten.

Das Schwert des „Experten“

Buchcover des von Verena Klemm und Karin Hörner herausgegebenen Bandes Das Schwert des „Experten“. Peter Scholl-Latours verzerrtes Araber- und Islambild

Doch schon lange vor den oben erwähnten Büchern von Constantin Schreiber gab es Journalisten, die es wussten, sich unter anderem mithilfe von Stereotypen und Verallgemeinerungen in den Medien als „Experten“ zu inszenieren und die Allgemeinheit über den Islam oder den Nahen Osten „aufzuklären“. So auch die beiden Journalisten Gerhard Konzelmann und Peter Scholl-Latour. Während der Hamburger Islamwissenschaftsprofessor Gernot Rotter Konzelmann als Plagiator überführte und dessen Aussagen über den Nahen Osten auf humorvolle Art in seinem Buch Allahs Plagiator – Die publizistischen Raubzüge des „Nahostexperten“ Gerhard Konzelmann dekonstruierte, nahm sich eine Reihe von Studierenden und Mitarbeitenden der Veröffentlichungen von Peter Scholl-Latour an.

In dem Buch Das Schwert des „Experten“ – Peter Scholl-Latours verzerrtes Araber- und Islambild greifen Studierende und Lehrende verschiedene Aspekte der medialen Verallgemeinerungen auf, die Scholl-Latour in seiner Berichterstattung reproduziert und für sich nutzt. Im Vorwort beschreibt der Tübinger Islamwissenschaftler Heinz Halm, wie seit dem Golfkrieg das Feindbild Islam explizit ausgebaut wird, was auch Verena Klemm in der darauffolgenden Einleitung aufgreift.  Besonders amüsant ist das dritte Kapitel mit der fiktiven Schilderung eines arabischen „Nahwest-Experten“, der die Kirchengemeinde in Paderborn im Stile Peter Scholl-Latours beschreibt.

„Dumpf und monoton dröhnt die Kirchenglocke der christlichen Gemeinde im Gotteshaus zu Paderborn. Die westfälische Stadt ist eine religiöse Hochburg, die wie ein urbanes Relikt aus der Zeit Karls des Großen anmutet, der hier einst ein Bistum stiftete, um die Kirche als mächtiges Instrument des Heiligen Römischen Reiches einzusetzen. Die unverkennbare und nicht zu unterschätzende Solidarität zwischen der okzidentalen katholischen Kirche und der regierenden christlichen Partei beweist die Verstrickung von abendländischer Religion und Herrschaft, die bis zum heutigen Tage von Bedeutung ist. Unüberhörbar riefen die Glocken zum Kirchengang auf. Bedrohlich, obskur, ja fast apokalyptisch wirkte das Orgelspiel im Inneren: Eine bucklige Gestalt hämmert fanatisch auf das Instrument ein, damit die allemannischen Gläubigen – überwiegend blond und blauäugig – in ekstatischen Rhythmen und düsteren Gesängen ihrem Herrn huldigen konnten. Es war Sonntag, der christliche Freitag, und der Pfarrer, ein ganz in schwarz gekleideter Patriarch, stand auf der Kanzel, um das Gebet vorzusprechen, dass die Gläubigen als raunender Chor wiederholten. Eingebettet in christliche Parolen hörten wir die Predigt.“

Hamadeh, Anis und Daniel Schwarz, „Auge um Auge oder: Die wundersamen Erzählungen eines arabischen ,Nahwest-Experten‘. Eine Satire“, in: Das Schwert des Experten. Peter Scholl-Latours verzerrtes Araber- und Islambild hrsg. v. Verena Klemm und Karin Hörner, Heidelberg: Palmyra Verlag, 1993, S. 22-23.

Auch das „scholl-latour‘sche Geheimrezept für scharfsinnige Delikatessen“[5] ist beigefügt, welches auf humoristische Art die Zusammensetzung von Scholl-Latours Berichterstattung auflistet. Im Anschluss greifen Karin Hörner und Gernot Rotter jeweils den Aspekt des Islam als Feindbild auf und machen den historischen Wandel von dem Feindbild des Islam und des „Orients“[6] deutlich. Darauffolgend werden in sechs Kapiteln Scholl-Latours Arbeiten und Berichterstattung detailliert analysiert und die Art dekonstruiert, wie er sich als „Experte“ glaubhaft inszeniert, sodass jahrelang Scholl-Latour als mediale Größe im öffentlichen Diskurs um den Islam viel Platz eingeräumt wurde. Zitate von „Personen vor Ort“, die praktischerweise meist derselben Meinung wie Scholl-Latour sind, gemischt mit vormodernen Ereignissen, die die vermeintliche Kontinuität der Rückständigkeit „der Region“ unterstreichen sollen, aber leider rein gar nichts mit der Gegenwart zu tun haben, verleihen Scholl-Latour den Anschein, weit gereist und hochgebildet zu sein und geben ihm somit die nötige Autorität.

Im vorletzten Kapitel wird der auch in Deutschland bekannte und vielverkaufte Roman Nicht ohne meine Tochter von Betty Mahmoody analysiert, weshalb das Kapitel etwas aus der Reihe tanzt. Jedoch beeinflusste das Buch auch die Wahrnehmung und Vorurteile gegenüber den muslimischen Männern in Deutschland und somit reiht sich das Kapitel in die Dekonstruktion von verallgemeinernden Darstellungen über „den Orient“ und Menschen „des Orients“ ein – ein sensibles Unterfangen, da der Roman eine autobiographische Erzählung ist. Im abschließenden Kapitel kommen marokkanische Studierende zu Wort und beantworten Fragen zu ihrem eigenen Europa-, Demokratie- und Freiheitsverständnis.

Buchcover des von Gernot Rotter herausgegebenen Bandes Die Welten des Islam. Neunundzwanzig Vorschläge, das Unvertraute zu verstehen

Im gleichen Jahr erschien der Sammelband Die Welten des Islam – Neunundzwanzig Vorschläge, das Unvertraute zu verstehen – herausgegeben von Gernot Rotter und sozusagen als Ergänzung zu Das Schwert des „Experten“. Darin schreiben verschiedene Autor:innen über ganz unterschiedliche Aspekte und Perspektiven auf die islamischen Welten und wollen damit das Vorurteil einer einheitlichen Region des „Orient“, der angeblich räumlich und zeitlich abgekapselt sei und kontinuierlich und unveränderlich weiterbestehe, aufbrechen.

Die Themen der 29 Kapitel des Buches reichen von Geschichte über Politik zu gesellschaftlichen Aspekten. So greift Heinz Halm verschiedene Aspekte der Schia auf, Gernot Rotter schreibt über die politische Bedeutung Saddam Husseins, Karin Hörner geht dem „Islambild der Deutschen“ auf den Grund oder der Annahme, Frauen hätten automatisch einen besseren Stand im „Westen“[7] und Albrecht Noth versucht einen neuen Jihad-Begriff zu finden.

„Verschleierte Frauen und turbanbewehrte bärtige Männer verleihen mancher Fernsehsendung einen exotischen Reiz und vermitteln den Eindruck einer bevorstehenden Bedrohung unser eigenen Kultur durch den Islam, durch die Islamische Welt. Ob Khomeini, Kadhafi oder Saddam Hussein, ob Steine werfende Kinder im Gazastreifen oder auf Touristen schießende ,Fundamentalisten‘ in Ägypten, der Islam wird stets in der einen oder anderen Weise damit assoziiert. Doch gibt es diesen Islam, diese Islamische Welt, in einer solchen Einheitsform überhaupt? Oder existieren sie in der Realität genauso wenig wie das Christentum, die Christliche Welt?“

Gernot Rotter (Hrsg.), Die Welten des Islam: Neunundzwanzig Vorschläge, das Unvertraute zu verstehen, Frankfurt am Main: Fischer Verlag, 1993, S. 9.

Alle diese Versuche, Vorurteile und Verallgemeinerungen aufzubrechen, reihen sich ein in die Kritik an Scholl-Latours Berichterstattung. Beide Bücher nehmen explizit Bezug auf den öffentlichen medialen Diskurs über den Islam und die Muslime und setzen sich unter anderem ganz konkret mit den islamfeindlichen Vorurteilen auseinander, die oftmals medialen Diskussionen zu Grunde liegen.

Mediale Reaktionen

Wie also reagierte eben diese kritisierte Medienlandschaft mit ihrer Berichterstattung auf die oben vorgestellten Bücher? Obwohl Scholl-Latour sicherlich gerne davon überzeugt war, die wichtigste Stimme der „Islam- und Nahostexperten“ zu sein, traf dies anscheinend nicht ganz zu, da sich viele Zeitungen beispielsweise sehr positiv zu den Büchern äußerten. Das Hamburger Abendblatt titelte „Die Demontage des Experten“ und zeigte sich besonders beeindruckt von der Einschätzung des „Kollegen“ Arnold Hottinger in dem Buch über Scholl-Latour.[8] Der Mannheimer Morgen resümierte: „Nach Lektüre dieses Buches darf man sich schon fragen, woher die Autorität, die Scholl-Latour in den Medien genießt, rührt.“[9] Jedoch werden andererseits im selben Artikel die Erklärungen der Autoren zum Fundamentalismus-Begriff als Verharmlosung kritisiert – ein gemischtes Resümee. Die TAZ schreibt, zwar sei es leichter gewesen, Gerhard Konzelmann zu entlarven und Scholl-Latour, „[…] der 69jährige, der in der Öffentlichkeit als ,seriös‘ gehandelt wird, versteht es, mit Allgemeinbildung zu bestechen und den richtigen Ton anzuschlagen, sei es in Expertenrunden, unter Politikern oder in Gottschalks Late Night Show. Schließlich weiß der ehemalige Stern-Herausgeber und Chefredakteur sowie ZDF-Korrespondent eine einflussreiche Lobby hinter sich“.[10] Aber der Stil Scholl-Latours sollte jede:n Leser:in stutzig machen: „Durch den häufigen Gebrauch biblischer Termini und von Tiermetaphorik, um Araber bzw. Muslime zu beschreiben, sowie durch die Hervorhebung vermeintlich ‚rassischer Attribute‘ schafft Scholl-Latour scheinbar unüberbrückbare kulturelle Gegensätze“[11].

Reaktion des „Experten“ selbst

Scholl-Latour selbst äußerte sich in einem Radio-Interview mit Delta Radio Kiel zu der Veröffentlichung des Buches und der Kritik an ihm und seiner Berichterstattung – allerdings recht ausweichend. Zum Zeitpunkt des Interviews hatte Scholl-Latour das Buch nicht gelesen, da er „Besseres zu tun“ hätte.[12] Dennoch redete er ausführlich über seine Kritiker:innen und stellte diese als neidische „Stubenhocker“ dar, die keine Ahnung von der „echten Welt“ hätten, da niemand so weit gereist sei wie er selbst. Der Vorwurf der Islamwissenschaft, die sich im Elfenbeinturm verbarrikadieren würde, ist kein neuer, dient Scholl-Latour aber hervorragend zur eigenen Abgrenzung und Profilierung. Wichtig ist für ihn auch, seine persönlichen – angeblich engen – Beziehungen zu wichtigen Persönlichkeiten, wie Ayatollah Khomeini, zu betonen, was auch in seinen Büchern ständig hervorgehoben wird. Diese fast schon ehrfürchtige Art von großen Männern zu sprechen, vermischt sich mit dem Vorwurf Scholl-Latours, eine „[…] Frau, die sich mit dem Islam befasst – und man verliebt sich ja i.a. in sein Studienobjekt – die werden damit natürlich nicht zurechtkommen […] und eine Frau würde z.B. nie zu einem theologischen Gespräch mit einem Korangelehrten […] zugelassen werden. Während ich solche Gespräche zahllos geführt habe.“[13] Interessant ist, wie die eigene konservative Haltung hierbei auf den Islam projiziert wird.

„Die (Fundamentalisten) (?) repräsentieren ja die islamische Kultur. Ich sehe in den Fundamentalisten oder Islamisten, wie man sie besser nennt, nicht wahr, – es gibt ja auch ein arabisches Wort für Fundamentalisten, das heißt usuliya – diese Islamisten repräsentieren den wahren (mit Betonung) Islam – wenn ich das so schildere, ist das kein anti-islamisches Bekenntnis sondern ist eine Verneigung vor einer sehr ehrwürdigen, großartigen Religion, die aber eine sehr strenge und eine sehr militante Religion ist und das auch sein will“

Peter Scholl-Latour im Interview, geführt von Heike Schulze, Delta Radio Kiel.

Scholl-Latour stellt also seine Kritiker:innen als Spinner dar, „die sich ihr Wunschbild vom Islam zurecht machen“[14], während er der Sprecher des Islam sei. Zwar seien die Wissenschaftlerinnen im Elfenbeinturm stecken geblieben und haben im Gegensatz zu ihm selbst nie die reale Welt gesehen, Scholl-Latour streicht bemerkenswerterweise dennoch – oder gerade um mithalten zu können – seinen eigenen Bildungsgrad heraus, obwohl die Lehrstube neben der realen Welt seiner Meinung nach doch immer den Kürzeren ziehe. Und den Islam wolle er natürlich auf keinen Fall verteufeln: Scholl-Latour inszeniert sich als Verehrer des Islam, der nie etwas negatives, diffamierendes sagen würde. Er wolle lediglich den Islam in seinen wahren Aspekten darstellen – obwohl Gayatri Chakravorty Spivak in seinem Fall wohl eher von „vertreten“ sprechen würde.[15]

Die Demontage des Experten – und dann?

Cover der Jubiläumsausgabe der Zeitschrift zenith

Nicht unbedingt im engeren aber durchaus im weiteren Sinne mit den beiden oben genannten Buchprojekten zusammenhängend gründeten Hamburger und Berliner Studierende 1999 die Zeitschrift zenith, um die Autorität von Scholl-Latour und Co. in der öffentlichen Berichterstattung über den Nahen Osten aufzubrechen und Stimmen wie seinen nicht allein das Feld zu überlassen. Dies fand durchaus Anklang und so feierte die Zeitschrift 2019 ihr 20-jähriges Jubiläum. In der Jubiläumsausgabe selber kommt Gründungsmitglied Moritz Behrendt zu dem Schluss, eben diese Berichterstattung sei in den letzten Jahren mehr und diverser geworden.

Dies lässt hoffen, wobei jedoch immer noch einiges zu tun ist und zu den alten neue Vorurteile und Feindbilder hinzugekommen sind, mit denen auch Islamwissenschaftler:innen fast täglich konfrontiert werden. Publizisten wie Schreiber verdeutlichen, dass mit der Differenzierung in der Medienwelt auch verstecktere Formen der Vorurteile und Verallgemeinerungen hervorgegangen sind. Projekte wie die beiden Bücher der Islamwissenschaftler:innen der Universität Hamburg lassen hoffen und sind Vorbilder für weitere ähnliche Bemühungen, sich mit dem öffentlichen Diskurs auseinander zu setzen und sich einzubringen. Diese sind dringend nötig, um all die sich hartnäckig festgesetzten Bilder und Vorurteile, zu deren Verbreitung Scholl-Latour viele Jahre beigetragen hat – und woran er gut verdient hat –, auszuräumen und ein komplexeres, heterogeneres und hoffentlich auch offeneres und toleranteres Weltbild zu etablieren.

„Konzeltour“ – Erinnerungen an die Abteilung Vorderer Orient in den 1990er-Jahren. Sequenzen aus den Interviews mit Ursula Günther, Verena Klemm, Ulrike Mitter und Schirin Fathi.

Literatur

KLEMM, Verena und Karin HÖRNER (Hrsg.), Das Schwert des Experten- Peter Scholl-Latours verzerrtes Araber- und Islambild, Heidelberg 1993.

KURZ, Isolde, Vom Umgang mit dem Anderen: Die Orientalismus-Debatte zwischen Alteritätsdiskurs und interkulturelle Kommunikation, Bibliotheca Academica Sammlung interdisziplinärer Studien, Würzburg 2000, S. 111 – 150.

ROTTER, Gernot (Hrsg.), Die Welten des Islam: Neunundzwanzig Vorschläge, das Unvertraute zu verstehen, Frankfurt am Main 1993.

SAID, Edward W., Orientalism, New York 1979.

SPIVAK, Gayatri Chakravorty, „Can the subaltern speak?“, in: Cary NELSON und Larry GROSSBERG (Hrsg.), Marxism and the Interpretation of Culture, Urbana 1988, S. 271-313.

Zeitungsartikel

KUHLMANN, Jan, „Die Demontage des Experten“, Hamburger Abendblatt, 24.05.1993.

SERIF, Walter, „Peter Scholl-Latour ein Rassist?“, Mannheimer Morgen, 19.05.1993.

SENFFT, Alexandra, „Oh Gott, Scholl-Latour! Die Unglaublichen Geschichten des Nahost-,Experten´ Peter Scholl-Latour“, die tageszeitung, 19.06.1993.

Onlinequellen

https://web.archive.org/web/20161121042501/http://www.grimme-institut.de/html/index.php?id=2109 (letzter Zugriff 22.07.2021).

 https://www.disorient.de/blog/verzerrungen-und-vorurteile-eine-ausfuehrliche-kritische-rezension-zu-constantin-schreibers (letzter Zugriff 22.07.2021).


[1] Vgl. Edward W. SAID, Orientalism, New York 1979.

[2] Vgl. Isolde KURZ, Vom Umgang mit dem Anderen: Die Orientalismus-Debatte zwischen Alteritätsdiskurs und interkulturelle Kommunikation, Bibliotheca Academica Sammlung interdisziplinärer Studien, Würzburg 2000, S. 111 – 150.

[3] Vgl. https://web.archive.org/web/20161121042501/http://www.grimme-institut.de/html/index.php?id=2109 (letzter Zugriff 22.07.2021).

[4] Dieses Buch wurde ausführlich von Jan Altaner auf dis:orient analysiert und kommentiert. Vgl. https://www.disorient.de/blog/verzerrungen-und-vorurteile-eine-ausfuehrliche-kritische-rezension-zu-constantin-schreibers (letzter Zugriff 22.07.2021).

[5] Vgl. Verena KLEMM und Karin HÖRNER (Hrsg.), Das Schwert des Experten- Peter Scholl-Latours verzerrtes Araber- und Islambild, Heidelberg 1993, S. 32.

[6] Dies ist kein korrekter geographischer Begriff, wird in diesem Artikel jedoch verwendet um die verbreiteten Stereotype zu verdeutlichen.

[7] Auch dies stellt keine geographische Einheit im engeren Sinne dar, wird hier aber dennoch verwendet, um den Diskurs widerzuspiegeln.

[8] Vgl.  Jan KUHLMANN, „Die Demontage des Experten“, Hamburger Abendblatt, 24.05.1993.

[9] Vgl. Walter SERIF, „Peter Scholl-Latour ein Rassist?“, Mannheimer Morgen, 19.05.1993.

[10] Vgl. Alexandra SENFFT, „Oh Gott, Scholl-Latour! Die Unglaublichen Geschichten des Nahost-,Experten‘ Peter Scholl-Latour“, die tageszeitung, 19.06.1993.

[11] Ibid.

[12] Interview mit mit Peter Scholl-Latour, geführt von Heike Schulze, Delta Radio Kiel.

[13] Ibid.

[14] Ibid.

[15] Vgl. Gayatri Chakravorty SPIVAK, „Can the subaltern speak?“, in: Cary NELSON und Larry GROSSBERG (Hrsg.), Marxism and the Interpretation of Culture, Urbana 1988, S. 271-313.

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Versuch einer postkolonialen Perspektive auf das Symposium des Euro-Arabischen Dialogs 1983 in Hamburg

Programmflyer für das Symposium (Staatsarchiv Hamburg, 131-1 II_6118, Az. 300.35-66, Bd. 1, Anhang 4)

Häufig ist zu hören, dass interkulturelle Dialoge eine der wenigen wirklich aussichtsreichen Möglichkeiten seien, um diskriminierende Vorurteile abzubauen.[1] Vgl. dazu z.B. RIVIÈRE, KUTUKDIJAN und CORBETT: Unesco World Report, S. 45-51. In ihnen könne man den vermeintlich Fremden als Individuum jenseits von z.B. zum Zwecke kolonialer Herrschaft oktroyierten Kategorien erkennen und so seine generalisierenden Vorurteile mit der spezifischen Realität konfrontieren. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden das Symposium des Euro-Arabischen Dialogs im Jahre 1983 in Hamburg daraufhin untersucht, inwiefern es dort tatsächlich zu einer Verständigung zwischen verschiedenen Kulturen gekommen ist bzw. umgekehrt inwiefern dort koloniale Machtstrukturen reproduziert wurden. Abschließend wird dabei auch darauf eingegangen, inwiefern interkultureller Dialog in dieser institutionalisierten Form überhaupt in diesem Sinne erfolgreich sein kann.

Der Euro-Arabische Dialog

Um für die nachfolgende weiterführende Diskussion eine Grundlage zu schaffen, wird im ersten Schritt das Symposium kurz vorgestellt und in seinen historischen Kontext eingebettet. Dafür ist es hilfreich mit einer Einführung in die Institution des Euro-Arabischen Dialogs (EAD) zu beginnen und dann später auf das Hamburger Symposium selbst zu sprechen zu kommen. Der EAD wurde offiziell am 31. Juli 1974 in Paris als ein Konferenzsystem initiiert, dessen offizielles Ziel es war, Wege zu erforschen, eine interregionale Partnerschaft zwischen dem europäischen und dem arabischen Raum zu etablieren.[2]TAYLOR: „The Euro-Arab Dialogue“, S. 431f. Die europäische Seite bestand dabei aus den neun damaligen Mitgliedern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die arabische aus den 20 damaligen Mitgliedern der Arabischen Liga (AL). Beide Seiten wurden zu Beginn im Wesentlichen von den Außenminister:innen der jeweiligen Mitgliedsstaaten repräsentiert. Der EAD als Institution setzte sich aus einem Generalkomitee und mehreren Arbeitskomitees zusammen, wobei es Aufgabe der aus Expert:innen bestehenden Arbeitskomiteeswar, mögliche Gebiete der Zusammenarbeit zu definieren und auszuarbeiten. Im Anschluss daran sollte das aus Botschafter:innen der AL und der EWG bestehende Generalkomiteedie konkrete politische Umsetzbarkeit dieser Vorschläge evaluieren. Die Ausführung der Vorschläge sollte dann den Außenminister:innen der beteiligten Staaten obliegen. Im Jahre 1975 wurde je ein Arbeitskomiteezu den sechs folgenden Themen gebildet: Industrialisierung, Infrastruktur, Landwirtschaft, finanzielle Zusammenarbeit, Handel und Fragen der Wissenschaft, Technologie, Kultur, Arbeit und Gesellschaft.[3] Staatsarchiv Hamburg, 363-6_182, Az. 0-042.20/1, Bd. 1.

Um das neun Jahre nach der Gründung stattfindende Symposium weiter in seinen historischen Kontext einzubetten, ist es hilfreich im Folgenden kurz auf die wirtschaftliche und politische Motivation des EAD sowie dessen Erfolg einzugehen. Die beiden Räume standen in engen wirtschaftlichen Beziehungen. – Fast 70% der Erdölimporte der EWG stammten aus arabischen Staaten und umgekehrt machten Importe aus Westeuropa damals 44% aller Importe von arabischen Staaten aus. Allerdings hatten sich die Beziehungen zu Beginn der 1970er Jahre als fragil und keineswegs krisensicher erwiesen. Es ist durchaus plausibel, den EAD als Maßnahme zur Stabilisierung der europäisch-arabischen Beziehungen und zur Prävention weiterer Krisen zu lesen. Konkreten politischen Anstoß gab der vierte arabisch-israelische Krieg im Oktober 1973.[4] Staatsarchiv Hamburg, 131-1 II_6118, Az. 300.35-66, Bd.1, Anlage 6. Da sich zumindest einige westliche Staaten deutlich auf die Seite Israels gestellt und auch finanzielle Unterstützung geleistet hatten, verhängte die Organisation der arabischen Erdöl-exportierenden Staaten ein Ölembargo. Dies hatte zur Folge, dass sich der durchschnittliche Ölpreis bis zum Ende des Embargos im März 1974 vervierfachte.[5] PAINTER: „Oil and Geopolitics“, S. 190. Der EAD sollte also vor allem die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem arabischen und dem europäischen Raum stärken, gleichzeitig aber auch einer Annäherung der beiden Räume auf politischer, sozialer und kultureller Ebene Vorschub leisten.

Insgesamt kam das Generalkomitee in den 1970er Jahren allerdings lediglich viermal zusammen.[6]ALBINYANA und FERNÁNDEZ: „From the Euro-Arab Dialogue to a Euro-Arab Summit”, S. 257. Neben einer ganzen Reihe von weiteren Unstimmigkeiten war der Israel-Palästina-Konflikt im Verlauf des EAD immer wieder einer der Gründe, weshalb der EAD keine wirklichen Resultate hervorbrachte: Zum einen forderte die AL ein klares Bekenntnis der EWG zum Recht der Palästinenser:innen auf einen eigenen Nationalstaat und zur Palästinensischen Befreiungsorganisation (engl. Palestine Liberation Organization, PLO) als rechtmäßiger Vertreterin der Palästinenser:innen. Da die EWG bezüglich dieser Frage gespalten war, blieb ein solches Bekenntnis insbesondere zu letzterem Punkt immer aus.[7]TAYLOR: „The Euro-Arab Dialogue“, S. 433. Zum anderen führten Entwicklungen im Israel-Palästina-Konflikt auch zu Spaltungen in der AL. Als Ägypten im Jahre 1979 einen Friedensvertrag mit Israel schloss, wurde es bis zum Jahre 1989 aus der AL ausgeschlossen. Auch wenn der EAD offiziell erst 1990 mit Beginn des zweiten Golfkrieges eingestellt wurde, bedeutete der Ausschluss Ägyptens de facto auch die Einstellung der Verhandlungen zu engeren wirtschaftlichen Beziehungen im Zuge des EAD.[8]ALBINYANA und FERNÁNDEZ: „From the Euro-Arab Dialogue to a Euro-Arab Summit”, S. 257.

Das Hamburger Symposium 1983

Nachdem der historische Kontext des Hamburger Symposiums dargestellt wurde, kann nun das Symposium an sich besprochen werden. Unter dem Titel „Symposium über die Beziehungen beider Kulturen“ fand im Hotel Atlantik in Hamburg vom 11. April 1983 an eine fünftägige Konferenz statt. Zunächst soll deren Ablauf kurz skizziert werden. Die Planungen für ein Symposium zum kulturellen Austausch der beiden Regionen hatten bereits 1978 begonnen. Durch den Austritt Ägyptens aus der AL verzögerte sich die Realisierung jedoch um vier Jahre. Entsprechend steht das Symposium symbolisch auch für den Versuch einer Wiederaufnahme des Dialogs und ist zudem die erste vom EAD erfolgreich durchgeführte Veranstaltung.[9]Vgl. dazu Begleitheft zur Ausstellung „Stories from the Archive – Der Vordere Orient in Hamburg 1960-1990”, Hamburg, 12.-13. Dezember 2019 im FAKTOR, S. 14.

Mit der Organisation vor Ort in Hamburg wurde das Deutsche Orient Institut beauftragt. Insgesamt nahmen etwa 100 Personen mit vielfältigen beruflichen Hintergründen an dem Symposium teil. So fanden sich unter den Teilnehmer:innen Politiker:innen, Diplomat:innen, Wissenschaftler:innen und Journalist:innen.[10] HOPWOOD: Acts of the Hamburg Symposium, S. 325-334.

Übersicht der Vorträge des Symposiums (Staatsarchiv Hamburg, 131-1 II_6118, Az. 300.35-66, Bd. 1, Anhang 4)

Das Symposium war so strukturiert, dass an den fünf Konferenztagen jeweils zwei große Vorträge stattfanden, die in der Regel dasselbe Thema einmal aus arabischer Sicht und einmal aus europäischer Sicht beleuchteten. Den Redner:innen, die immer aus der entsprechenden Region kamen, war dazu immer ein:e Ko-Redner:in aus der anderen Region an die Seite gestellt, der:die im Anschluss an den Vortrag die Möglichkeit hatte auf das Gesagte zu antworten. Die Vorträge deckten Themen von recht großer Bandbreite ab. – So gab es unter anderem Vorträge mit den folgenden Titeln: „Die Haltung Westeuropas gegenüber der arabischen Zivilisation“, „Die Religion in der heutigen arabischen Welt: Die Bedeutung für den kulturellen Dialog mit Westeuropa“ und „Kulturwandel in der arabischen Welt: Die Diskussion über arabische Identität“.[11]Ebd., S. 3-5.

Neben diesen zehn Hauptvorträgen gab es insgesamt drei Workshops sowie ein umfassendes kulturelles Begleitprogramm. Das Begleitprogramm bestand aus einer Arabischen Filmwoche, einer Ausstellung von arabischer Kunst und islamischen Manuskripten im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) sowie einigen arabischen Musikabenden, einer Ausstellung der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel über die Rezeption der arabischen Zivilisation in Europa und eine Ausstellung der im Buchhandel erhältlichen Publikationen über die arabische Welt.[12]Staatsarchiv Hamburg, 131-1 II_6118, Az. 300.35-66, Bd. 1, Anhang 4.

Programmflyer für das Kulturelle Rahmenprogramm (Staatsarchiv Hamburg, 131-1 II_6118, Az. 300.35-66, Bd. 1, Anhang 4)

Waren die Hauptvorträge alle eher theoretischer Natur, ging es bei den Workshops darum, sich zu in der Praxis relevanten Fragestellungen Gedanken zu machen und jeweils konkrete Empfehlungen an die Politik zu formulieren. Beispielsweise hatte der zweite Workshop „Soziale und kulturelle Konsequenzen der Migration von Arbeitern und Intellektuellen“ zum Thema. Hier wurde vor allem gefordert, dass die bereits 1978 in einer Deklaration des EAD geforderten sozialen Absicherungen für migrantische Arbeiter:innen in Europa durch konkrete Programme der europäischen Staaten auch tatsächlich realisiert werden. Dazu solle auch der EAD ein ständiges Komitee einrichten. In den beiden anderen Workshops wurde sich mit „Perspektiven für den kulturellen Austausch“ bzw. mit „Zusammenarbeit im Bereich der Lehre arabischer und europäischer Staaten“ auseinandergesetzt. Alle Forderungen blieben jedoch unverbindlich und gerieten nach dem Symposium schnell in Vergessenheit.[13]HOPWOOD: Acts of the Hamburg Symposium, S. 305-316. Auch insgesamt wurde der EAD nur sehr kurzfristig wiederbelebt und schlief nach dem Hamburger Symposium fast völlig ein.

Bewertung des Symposiums aus postkolonialer Sicht

Der nun folgende dritte Schritt dient dazu, das Symposium aus postkolonialer Perspektive zu evaluieren. Dies soll vornehmlich anhand von zwei Leitfragen geschehen: Erstens, inwiefern wurden mit dem Symposium koloniale Kontinuitäten reproduziert? Zweitens, inwiefern eignen sich Symposien dieser Art überhaupt zum Vorantreiben von Dekolonisation? Die beiden Fragen werden der Reihe nach adressiert.

Der Generalsekretär der Arabsichen Liga, Chedli Klibi, neben dem damaligen deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher während des Symposiums 1983 in Hamburg
© Studio Hamburg Enterprises

Als interessanter Ausgangspunkt für die nachfolgende Diskussion der ersten Frage soll ein Zitat aus der Eröffnungsrede von Chedli Klibi, dem damaligen Generalsekretär der AL, dienen. Laut ihm gehörte es zwar damals bis vor kurzem „zum guten Ton, den Orient dem Occident gegenüberzustellen, Europa über seine Ufer auf dem alten Kontinent treten zu lassen und die Grenzen der orientalischen Welt im Rhythmus der Träume vom Exotischen schwanken zu lassen, […]“[14]Staatsarchiv Hamburg, 131-1 II_6118, Az. 300.35-66, Bd. 3., aber diese Vision habe sich überlebt und man sei nun entschlossener denn je einen „echten lebendigen Dialog des gemeinsamen Willens einzurichten und aufrecht zu halten, […]“[15]Ebd.. Aus diesem euphorischen Zitat lässt sich deutlich die Annahme Klibis herauslesen, dass koloniale Hierarchien bereits vollständig abgebaut seien und dass das Symposium somit nun ein tatsächlicher Dialog auf Augenhöhe sein könne. Im Folgenden gilt es also auch zu prüfen, ob das Symposium den Ansprüchen zumindest der arabischen Seite genügte.

Tatsächlich ist auf den ersten Blick ein Rückgang der Hierarchien erkennbar. Es fällt auf, dass versucht wird, an vielen Stellen Araber:innen die Möglichkeit einzuräumen, sich selbst zu präsentieren. Dahinter steht unverkennbar der Gedanke die pejorative Konstruktion des Orients im Westen durch die Konfrontation mit Facetten der dortigen materiellen Realität zu konfrontieren. Beispielhaft dafür ist, dass in der Ausstellung im MKG erstmals in der Geschichte des Museums die arabischen Manuskripte nicht als bloß künstlerisch wertvolle Artefakte dargestellt, sondern die Handschriften als inhaltsvolle Texte betrachtetet wurden.[16]Dies geht z.B. aus dem begleitenden Ausstellungskatalog „Das arabische Buch“ hervor: David JAMES: Das arabische Buch. Eine Ausstellung arabischer Handschriften der Chester Beatty Library, Dublin … Continue reading Weiterhin wurden während der Arabischen Filmwoche ausschließlich Produktionen von arabischen Regisseur:innen gezeigt. Auch dass die Hauptvorträge, die Themen mit Bezug zur arabischen Region behandelten, ausschließlich von arabischen Redner:innen gehalten wurden, ist in diesem Kontext zu sehen.

Auch wenn der Einfluss der postkolonialen Debatte an der Oberfläche also deutlich zu erkennen ist, blieben die dem Symposiums zugrundeliegenden, oftmals impliziten Vorannahmen, durch die der dort geschaffene Diskursraum begrenzt wurde, davon weitgehend unberührt. Am deutlichsten lässt sich dies an der das ganze Programm prägenden Dichotomie von europäischer und arabischer Region aufzeigen. Überall kommt die Annahme zum Vorschein, dass sich hier zwei grundsätzlich verschiedene und in sich homogene Kulturen gegenüberstehen. Dass Themen bei den Hauptvorträgen immer von arabischer und europäischer Seite aus besprochen wurden, legt nahe, dass diese Seiten stets verschieden sein können. Dass Themen nie aus zwei verschiedenen europäischen oder arabischen Perspektiven besprochen wurden, legt hingegen nahe, dass es solcherlei zwei Perspektiven nicht geben kann. Schon der Titel „Symposium über die Beziehungen beider Kulturen“ deutet an, dass die beiden Kulturen zwar nicht in Isolation bestehen müssen, aber doch immer scharf voneinander zu trennen sind. Das „Arabische“ und das „Europäische“ werden stets in Opposition zueinander gedacht und als von vorneherein – quasi natürlich – gegebene Kategorien angenommen.

 Laut einer der Kernthesen von Edward Saids für die koloniale Dekonstruktion grundlegendem 1978 erschienenen, viel beachteten Werk „Orientalism“ ist die Konstruktion genau solcher Kategorien jedoch wesentlicher Teil westlicher Kolonialherrschaft. Nach dieser These besteht der Orient – hier als „die arabische Region“ gelabelt – nur als hegemoniale Konstruktion des Westens. Diese Konstruktion des Orients als rückständig und irrational habe den Zweck eine Abgrenzungsfolie zu schaffen, mit der sich der Okzident – hier als „die europäische Region“ gelabelt – als fortschrittlich und rational konstruieren kann. Nach Said entspricht dies nicht der materiellen Realität und dient lediglich zur Beherrschung des Orients durch den Okzident. Entsprechend gelte es, die Dichotomie zwischen Orient und Okzident zu überwinden und ein komplexeres Bild der relevanten kulturellen Praktiken zu zeichnen.[17]Vgl. SAID: Orientalism, S. 4f. Genau dies wird jedoch durch die Vorannahmen auf dem Symposium unmöglich gemacht. Daher knüpft das gesamte Symposium stark an koloniale Kontinuitäten an und ist dementsprechend aus postkolonialer Perspektive als durchaus problematisch zu betrachten. Daher ist auch der von Klibi behauptete wahrhaftige Dialog auf Augenhöhe schwerlich möglich gewesen und das Symposium somit zumindest ein Stück weit auch an seinen eigenen Ansprüchen gescheitert.

Daran anknüpfend kann sich nun der zweiten Frage gewidmet werden, inwiefern Veranstaltungen dieser Art überhaupt im Sinne postkolonialistischer Programmatik erfolgreich sein können. Dabei ist vor allem darauf hinzuweisen, dass die im vorherigen Abschnitt kritisch behandelte Vorannahmen zu einem Gutteil schon durch den Zweck des EAD bestimmt sind. Zweck des EAD war nie eine Dekonstruktion des Orients im Sinne postkolonialer Programmatik, sondern wie im ersten Abschnitt ausführlich beschrieben vor allem die Stabilisierung der wirtschaftlichen Beziehungen. Der Fokus auf die Stabilität der wirtschaftlichen Beziehungen ist postkolonialen Projekten aus mehrerlei Gründen abträglich. Beispielweise geht es vor allem um die Stabilität der europäischen Wirtschaft. Diese hängt von der identitätsstiftenden Konstruktion eines Europas ab, welche wiederum – zumindest nach Said – von der Konstruktion der arabischen Welt abhängt. Damit ist die Dichotomie zwischen Orient und Okzident zumindest teilweise bereits in der Zielsetzung des EAD angelegt.

Weiterhin liefert die Geschichte des EAD ein anschauliches Beispiel dafür wie politische Interessen noch zur Verfestigung dieser Dichotomie beitragen können: Ursprünglich war geplant, dass alle am EAD beteiligten Staaten eigene Botschafter:innen für den Dialog benennen sollten. Im Zuge dessen bestanden die Vertreter:innen der AL darauf, dass auch die PLO Botschafter:innen entsenden dürfe. Da die Vertreter:innen der EWG jedoch nicht bereit waren, die PLO als Vertreterin der Palästinenser:innen anzuerkennen, die AL aber auch nicht von ihrer Forderung absehen wollte, wurde beschlossen, dass allgemein europäische bzw. arabischen Botschafter:innen ohne konkreten Bezug zu ihre Herkunftsstaaten entsendet werden.[18]TAYLOR: „The Euro-Arab Dialogue“, S. 432. Anstatt also verschiedene nationalstaatliche Interessen zu berücksichtigen, wurde die beiden beteiligten Parteien homogenisiert und so die Dichotomie zwischen Orient und Okzident weiter verfestigt.

Somit lässt sich abschließend sagen, dass das Hamburger Symposium weder frei von kolonialen Kontinuitäten war noch, dass es überhaupt ein wirklich geeigneter Raum gewesen wäre solche kolonialen Kontinuitäten abzubauen.


Literatur

Begleitheft zur Ausstellung „Stories from the Archive – Der Vordere Orient in Hamburg 1960-1990”, Hamburg, 12.-13. Dezember 2019 im FAKTOR.

ALBINYANA, Roger und Fátima FERNÁNDEZ: „From the Euro-Arab Dialogue to a Euro-Arab Summit: Revamping the EU-Arab Partnership”, in: IEMed Mediterranean Yearbook, Barcelona 2018, S. 255-259.

HAASE, Claus-Peter (1986): „Der dritte Divan Sultan Süleymans des Prächtigen. Eine Handschrift aus dem Istanbuler Hofatelier“, Jahrbuch des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg Bd. 5, S. 27-39.

HOPWOOD, Derek (Hrsg.): Euro-Arab Dialogue: The Relations Between the Two Cultures – Acts of the Hamburg Symposium April 11th to 15th 1983, London 1985.

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Staatsarchiv Hamburg, 131-1 II_6118 Senatsempfang aus Anlass des Europäisch-Arabischen Symposiums über die Begegnung beider Kulturen am 11.04.1983, 1981-1983, Az. 300.35-66.

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Der Europäisch-Arabische Dialog in Hamburg

Der Europäisch-Arabische Dialog (EAD) war der Versuch, die Beziehungen zwischen der Arabischen Liga (AL) und der Europäischen Gemeinschaft (EG) zu verbessern und die wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit zu verstetigen. Als einziges in diesem Rahmen jemals verwirklichte Projekt kam es im April 1983 in Hamburg zum Symposium über die Beziehungen der beiden Kulturen. Der folgende Artikel gibt einen kurzen Überblick über den knapp 20-jährigen Verlauf des EAD und betrachtet die Bedeutung des Symposiums als Kulturveranstaltung für den EAD.

Die Anfänge des EAD

Das erste offizielle Treffen des EAD zwischen Vertretern der EG und der AL fand im Juli 1974 in Paris statt. Gegenstand dieses Dialogs waren die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Beziehungen zwischen den arabischen und den europäischen Staaten. Politische Belange wurden versucht, von Beginn an bewusst auszuklammern, dennoch lässt sich weder das Zustandekommen noch der weitere Verlauf des EAD erfassen, ohne den politisch historischen Rahmen im Blick zu behalten.[1]

Ein Jahr zuvor, im Oktober 1973, hatten Ägypten und Syrien, mit der Unterstützung weiterer arabischer Staaten, Angriffe auf Israel gestartet, welche den Jom-Kippur-Krieg auslösten. Um den Druck auf die westlichen Unterstützer Israels zu erhöhen, drosselte die Organisation der arabischen erdölexportierenden Staaten (OAPEC) ihre Ölfördermenge und trieb damit den weltweiten Ölpreis rasant in die Höhe. Die Folgen für Europa waren nicht nur Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen und Fahrverbote, sondern auch allgemeine Verunsicherungen in der Wirtschaft und auf den Finanzmärkten. Diese erste Ölpreiskrise ließ den Europäer:innen ihre Abhängigkeit von den arabischen Staaten bewusst werden und weckte das Bedürfnis nach stabileren Kommunikationskanälen.[2]

Auf arabischer Seite bestand ebenfalls das Interesse, die Beziehungen nach Europa zu verbessern. Man hoffte auf einen Technologietransfer, größere Finanzhilfen und neue Absatzmärkte, um die eigene schwache Wirtschaftslage aufzubessern. Jedoch spielten auch hier politische Bestrebungen eine große Rolle. Die Situation der Palästinenser:innen und der Kampf gegen Israel war zur gesamtarabischen Aufgabe erklärt worden. Nachdem die ersten vier militärischen Auseinandersetzungen mit Israel für die arabische Seite erfolglos geblieben waren, war man auf der Suche nach anderen Lösungswegen und sah in der Europäischen Gemeinschaft eine neue Chance. Die Hoffnung war, dass die europäischen Staaten die PLO als legitime Vertretung der Palästinenser:innen ansehen, sie als Verhandlungspartnerin akzeptieren und insgesamt in Verhandlungen eine höhere Kompromissbereitschaft zeigen würden als die USA.[3]

Die Motivationen für den EAD waren also auf beiden Seiten von Anfang an nicht nur ökonomischer, sondern immer auch politischer Natur. Zentral bei dem ganzen Vorhaben war die Bildung einer vertrauensvollen und freundschaftlichen Beziehung zwischen den Staaten der EG und der AL, welche sich auch auf die Zusammenarbeit jenseits des EAD auswirken sollte.[4] Anfangs gestaltete sich der Arbeitsprozess als sehr stockend. Der Wunsch nach der Beteiligung der PLO und das anstehende Freihandelsabkommen zwischen der EG und Israel ließen beide Seiten eher zögerlich an die Sache herangehen.[5] Um die Diskussionen zu konkreten Themen voranzutreiben, wurden auf der EAD-Sitzung in Kairo im Juni 1975 Arbeitsgruppen gebildet, die fortan eigenständig arbeiten sollten. Neben den Gruppen zu Industrialisierung, Infrastruktur, Finanzfragen, Landwirtschaft und Handeln wurde eine sechste Gruppe zu Wissenschaft, Technologie und Bildung-Kultur-Arbeit gegründet.[6]

Der Weg zum Symposium

Der Fokus aller Beteiligten lag klar auf den Themen Finanzfragen und Handel. Die Arbeitsgruppe sechs befasste sich vornehmlich mit Fragen der Rohstofferschließung und Energiegewinnung. Da der Bereich Bildung-Kultur-Arbeit als weniger bedeutsam und eher hinderlich für die Gespräche betrachtet wurde, wurde dieser in eine siebte Arbeitsgruppe ausgelagert. Bereits bei ihrer ersten Sitzung im Rahmen der EAD-Tagung im Juli 1975 in Rom wurden erste Ideen zu einem wissenschaftlichen Symposium zur Erforschung der Beziehungen der europäischen und arabischen Zivilisationen in der heutigen Welt geäußert.[7] Während auf arabischer Seite der Wunsch nach einem großen Kulturevent in einer europäischen Stadt bestand, gingen die europäischen Vorstellungen eher in Richtung einer wissenschaftlichen Expertenkonferenz in einem der arabischen Staaten[8]

Aus Sorge, das Austragungsland werde auch den Großteil der Kosten eines solchen Symposiums stemmen, fand sich lange niemand, der bereit war, dies zu übernehmen. Auf der Sitzung 1976 in Tunis kündigte schließlich die deutsche Delegation an, Hamburg als Austragungsstätte bereitzustellen. In der weiteren Planung einigte man sich auf den Kompromiss einer wissenschaftlichen Konferenz mit begleitendem Kulturprogramm.[9] Bereits im Juni 1977 stand das grobe Konzept für das Symposium und das Deutsche Orientinstitut (DOI) in Hamburg, dessen gute Vernetzung in der arabischen Welt sicherlich zur Wahl des Austragungsorts beigetragen hatte, wurde beauftragt, die konkrete Vorbereitung vor Ort zu übernehmen.[10] Auch ein Zeitrahmen wurde beschlossen und das Symposium auf den 24. – 30. September 1978 terminiert. Kurz vor Realisierung des Projekts kam der Prozess dann ins Stocken. Die politische Annäherung zwischen Ägypten und Israel hatte in den anderen Arbeitsgruppen bereits seit 1977 dafür gesorgt, dass durch die internen Auseinandersetzungen in der AL die Arbeit im EAD Stück für Stück zum Erliegen kam. Mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags im März 1979 und dem darauffolgenden Ausschluss Ägyptens aus der AL wurde als letztes Projekt des EAD auch die Planung des Symposiums in Hamburg eingestellt und der EAD bis auf weiteres ausgesetzt.[11]

Der Sitz der Arabischen Liga wurde nach Tunis verlegt und mit ihm auch die arabische Kontaktstelle für den EAD. Um weder die eine noch die andere Seite zu verprellen, verzichteten die europäischen Staaten zunächst ganz darauf, sich bezüglich einer Wiederaufnahme des EAD an Kairo oder Tunis zu wenden. Erneut war es der steigende Ölpreis, der den Europäern die Relevanz ihrer Beziehungen zu den arabischen Staaten deutlich machte.[12] Ursache für die Preissteigerung war zunächst die islamische Revolution 1979 im Iran, ausschlaggebender jedoch war der Ausbruch des ersten Golfkriegs im September 1980, welcher sich in den Monaten zuvor bereits angebahnt hatte. Um vor dem Hintergrund dieses Konflikts den Kontakt zu den arabischen Regierungen nicht vollständig zu verlieren, kontaktierte die EG die AL in Tunis und bereits im November 1980 kam es zu einer Wiederaufnahme des EAD und zu einem ersten Treffen in Luxemburg.[13]

Durch die Abwesenheit der ägyptischen Vertreter, welche zuvor viele Schlüsselrollen in den Arbeitsgruppen und den übergeordneten Strukturen inne hatten, fiel es schwer, an die vorherigen Arbeitsstände anzuknüpfen. Als eine von wenigen Arbeitsgruppen gelang dies der Arbeitsgruppe sieben, welche mit der Planung des Symposiums beauftragt war. Auf Hamburg als Austragungsort hatte man sich bereits geeinigt, der neue Termin sollte irgendwann im Frühjahr 1983 liegen. An der bisherigen Planung eines zweigeteilten Symposiums, bestehend aus Kongress und Kulturprogramm, wurde festgehalten.

Während der Kongress nur für geladenen Gäste aus Wissenschaft und Politik zugänglich sein sollte, waren die Kulturveranstaltung für die breite Öffentlichkeit gedacht. Auf der arabischen Seite erhoffte man sich so, ausgewählte Beispiele aus arabischer Musik, Film und der Literatur einem großen Publikum zugänglich machen zu können und ihnen die historische Bedeutung der arabischen Zivilisationen auch für den europäischen Kulturraum zu verdeutlichen. In einem Brief von Wulf Piper, der von der Herzog August Bibliothek (HAB) in Wolfenbüttel mit der Konzipierung einer Ausstellung unter dem Titel Die Welt der Araber in Büchern einer alten Bibliothek im Rahmen des Symposiums beauftragt worden war, wird deutlich, dass nicht nur auf der arabischen Seite weitergehende Intentionen hinter dem Kulturprogramm standen. So schrieb er im August 1981 an den ersten Bürgermeister der Stadt Hamburg: „Wie aus meinem ‚Memorandum‘ hervorgeht, habe ich […] erklärt, daß diese Ausstellung nicht Geld kosten, sondern einbringen soll. Weil sie eine glänzende Reklame und somit ein Psychologicum ersten Ranges für die Deutsch-Arabischen Wirtschaftsbeziehungen sein wird. […] eine Ausstellung, die der allzu leicht beleidigten Empfindlichkeit der für uns derart wirtschaftlich wichtigen Saudis bedenkt, muß ‚ganz groß‘ aufgezogen werden. ‚DIE ARABER‘ muß auf großen Plakaten in ganz Hamburg zu lesen sein. Das muß in der Kunsthalle oder der [sic] Museum für Kunst und Gewerbe stattfinden. Die Leute, durch die Presse hinreichend motiviert, müssen strömen und – zahlen.“[14]

Der EAD in Hamburg

Zu diesem Zeitpunkt waren neben der Ausstellung der Herzog-August-Bibliothek noch Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe (MKG), in der Hamburger Staatsbibliothek, im Planetarium im Hamburger Stadtpark, und Ausstellungen aus Dublin, Rom und Belgien geplant. Finanzierungsprobleme und Raumknappheit führten schließlich dazu, dass es im Rahmen des Kulturprograms nur zu drei Ausstellungen kam: In der Katholischen Akademie fand die Ausstellung der Herzog-August-Bibliothek statt. Jedoch unter dem neuen Titel Das Arabienbild in der europäischen Literatur der Neuzeit. Das MKG stellte unter dem Titel Arabische Kunst und islamische Handschriften Exponate der Chester Beatty Library in Dublin in ihren Räumen aus. Und im Hotel Atlantic fand die Ausstellung Europäische Bücher und neuere Veröffentlichungen über die arabische Welt statt. Alle Ausstellungen wurden von Europäer:innen konzipiert und bestanden aus Exponaten europäischer Sammlungen.[15] Im Wesentlichen wurde in den Ausstellungen somit der Blick der Europäer:innen auf die arabische Kultur präsentiert. Die arabischer Perspektive wurde versucht in Film- und Musikprogrammen darzustellen.

Unter Mithilfe des Metropolis Kinos wurde ein Programm aus acht arabischen Filmproduktionen zusammengestellt, darunter Filme aus Algerien, Tunesien, Libyen, Syrien, Marokko und Frankreich. Diese wurden zwischen dem 10. April 1983 und dem 18. April 1983 im Filmtheater an der Dammtorstraße in Hamburg vorgeführt. Die Konzeption des Musikprogramms wurde vom Internationalen Institut für vergleichende Musikstudien in Berlin vorgenommen. Zwischen dem 11. April 1983 und dem 16. April 1983 kam es so zu sieben Konzerten unteranderem in der Markthalle, der Laeiszhalle (damals noch Musikhalle Hamburg), der Fabrik in Hamburg-Ottensen, der Friedrich-Ebert-Halle in Hamburg-Harburg und dem großen Sendesaal des NDR. In diesem Rahmen traten Künstlerinnen aus Syrien, Ägypten und Marokko auf.[16]

Diese breite Wahl der Veranstaltungsorten für Ausstellungen, Filmvorführungen und Konzerte war der Versuch, das Symposium ein Stück weit zu öffnen und auch der Hamburger Bevölkerung zugänglich zu machen. Die Verständigung der beiden Kulturen sollte so nicht nur auf der theoretischen Ebene verhandelt, sondern durch den tatsächlich stattfindenden Kontakt auch praktisch vorangetrieben werden.

Poster Symposium
UHH, RRZ-MCC Mentz
Staatsarchiv Hamburg, 363-6_182, Europäisch-Arabischer Dialog

Der wissenschaftliche Kongress hingegen war nur etwa 20 Vertreter aus Politik und Medien, 110 arabischen und europäischen Wissenschaftler, sowie 30 geladenen Ehrengäste an den Veranstaltungen zugänglich.[17] Er wurde zwischen dem 11. und 15. April im Hotel Atlantic am Ufer der Außenalster abgehalten. Angekündigt waren unter anderem Referate von Edward Said und Abdallah Laroui. Die in den Vorträgen und Workshops behandelten Themen reichten von Säkularismusdebatten, über die Entwicklung der europäisch-arabischen Beziehungen, bis zu Diskussionen über Kulturelle Identitäten. Auch postkoloniale Perspektiven und Fragen nach dem Wandel der Stellung Westeuropas im Weltgeschehen wurden erörtert. Darüber hinaus wurden Fragen aus den Ausstellungen, besonders in Bezug auf die Sicht der jeweils anderen Kultur in der europäischen und arabischen Kunst und Literatur in den wissenschaftlichen Part übernommen und die beiden Bereiche somit miteinander vernetzt.[18]

Programm Symposium Innen
UHH, RRZ-MCC Mentz
Staatsarchiv Hamburg, 363-6_182, Europäisch-Arabischer Dialog

Als Ergebnisse des Kongresses einigte man sich auf eine gesteigerte Förderung des Fremdsprachenunterrichts sowohl in Europa, als auch in den arabischen Staaten, eine Intensivierung der Zusammenarbeit im wissenschaftlichen und akademischen Bereich und einer besseren Betreuung arabischer Gastarbeiter, mit dem Ziel den brain-drain in der arabischen Welt entgegenzuwirken.[19] Von deutscher Behörden wurde das Symposium als Erfolg gewertet. In einem Rundschreiben des Auswertigen Amts von 1983 heißt es: „Eine angestrebte engere Kooperation in wissenschaftlich-kulturellen Bereichen kann auch zur weiteren Konsolidierung des politischen Klimas zwischen beiden Regionen beitragen und sie näher zusammenführen. Die Veranstaltung hat insofern die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt, als das Symposium von beiden Seiten nicht als Abschluss einer Phase des EAD, sondern als Anstoß zu stärkerer Aktivität verstanden wurde, um die euro-arabischen Beziehungen weiter zu vertiefen.“[20]

Was bleibt ?

Noch im selben Jahr fand eine weitere Sitzung des EAD in Athen statt. Trotz der geäußerten Hoffnungen auf eine engere Zusammenarbeit, führten politische Differenzen in Bezug auf die Konflikte in der arabischen Welt zu einer weiteren Abkühlung der Beziehungen. Erst 1990 wurde in Dublin ein letzter Versuch unternommen, den EAD wieder zum Leben zu erwecken. Im Laufe der 1990er Jahre verloren die Mitgliedsstaaten aber das Interesse am EAD. Andere Projekte, wie der Barcelona-Prozess oder die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP) traten an seine Stelle und führten 1995 schließlich zu seiner Einstellung.[21]

Abschließend betrachtet ist der EAD in der Mehrheit seiner Anliegen erfolglos geblieben. In den Kernbereichen Handel, Finanzfragen und Infrastruktur wurden einzelne kleine Kooperationsprojekte auf den Weg gebracht, der erhoffte große Durchbruch in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa und der arabischen Welt blieb jedoch aus.[22] Gründe hierfür lassen sich viele finden: Die Einflussnahme der PLO auf die Verhandlungen, der Zwiespalt innerhalb der AL als Reaktion auf den israelisch-ägyptischen Friedensprozess, die Skepsis der USA gegenüber einer eigenständig europäischen Nahostpolitik, oder die mangelnde Bereitschaft der Europäer:innen, sich den arabischen Forderungen anzunähern.

Bis zur Einstellung des EAD blieb das Symposium in Hamburg das einzige Verwirklichte Großprojekt. Dass dieser Erfolg im Bereich der Kultur erreicht wurde, ist sicherlich kein Zufall. Wie sich gezeigt hat, konnte der anfängliche Wunsch, konkrete politische Konflikte aus den Verhandlungen möglichst raus zu halten, in den 20 Jahren des Dialogs nie wirklich umgesetzt werden. Im Bereich der Kultur gelang es jedoch, diese Konflikte auf einer anderen Ebene zu verhandeln. Das Symposium bot die Möglichkeit, sich grundlegender und weniger ergebnisorientiert mit den Beziehungen zwischen Europa und der arabischen Welt auseinanderzusetzen. Auf dem Fundament der Wissenschaft und der Künste fanden die Gesprächspartner eine Ebene, die den Dialog ermöglichte. Diese Ebene war nachweislich nie frei von politischen und ökonomischen Interessen, sie stellte diese aber nicht in den Mittelpunkt und konnte somit eine Kontinuität in den Dialog bringen, die in anderen Themen nicht zu erreichen war. In der Retrospektive ist dieser Teilerfolg nicht zu unterschätzen. Das Sekundärziel des EAD, durch den Dialog die europäisch-arabischen Beziehungen auch darüber hinaus zu verstetigen und eine Vertrauensbasis herzustellen, wurde durchaus erfüllt und ebnete den Weg für eine bessere Zusammenarbeit in den darauffolgenden Dekaden.[23] Das Hamburger Symposium 1983 – und vielleicht mehr noch dessen Erarbeitung als Projekt der kulturellen Zusammenarbeit – war Höhepunkt des EAD und ein erfolgreicher Beitrag zur Verständigung der arabischen und europäischen Gesellschaften im 20. Jhdt.


[1] Vgl.: ROBERT, Rüdiger: Euro-Arabischer Dialog, in: Wichard Woyke (Hrsg.): Europäische Gemeinschaft – Problemfelder, Institutionen, Politik, in: Dieter Nohlen (Hrsg.): Pipers Wörterbuch zur Politik, 3, München 1984, S. 43.

[2] Vgl.: ebd., S. 43.

[3] Vgl.: SATTLER, Verena: Die Institutionalisierung europäischer Nahostpolitik – Frankreich in der Europäischen Politischen Zusammenarbeit 1969/70-1980, München 2015.

[4] Vgl.: ebd.

[5] Vgl.: ROBERT: Euro-Arabischer Dialog, S. 44.

[6] Vgl.: Deutsche Botschaft (Rom) an Auswertiges Amt (Bonn), 22.07.1975, in: Staatsarchiv Hamburg, 363-6_182, Europäisch-Arabischer Dialog, S. 2.

[7] Vgl.: Deutsche Botschaft (Rom) an Auswertiges Amt (Bonn), Betr.: (EAD) 2. Expertentreffen in Rom vom 22. -24.07.1975, 25.07.1975 (Abschlussbericht), in: Staatsarchiv Hamburg, 363-6_182, Europäisch-Arabischer Dialog, S. 2.

[8] Vgl.: Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland an die Mitglieder der Kultusministerkonferenz, 18.08.1976, Anlage, in: Staatsarchiv Hamburg, 363-6_182, Europäisch-Arabischer Dialog, S. 6.

[9] Vgl.: Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland an die Mitglieder der Kultusministerkonferenz, 07.07.1977, Anlage II (16.06.1977), in: Staatsarchiv Hamburg, 363-6_182, Europäisch-Arabischer Dialog, S. 2.

[10] Vgl.: Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland an die Mitglieder der Kultusministerkonferenz, 07.11.1977, Anlage I (14.06.1977), in: Staatsarchiv Hamburg, 363-6_182, Europäisch-Arabischer Dialog, S. 2.

[11] Vgl.: SATTLER: Die Institutionalisierung europäischer Nahostpolitik.

[12] Vgl.: ebd.

[13] Vgl.: ebd.

[14] Zit.: Dr. Wulf Piper an Dr. Klaus von Dohnanyi, 15.11.1981, in: Staatsarchiv Hamburg, 363-6_182, Europäisch-Arabischer Dialog.

[15] Vgl.: Programmheft „Arabische Kulturwoche in Hamburg, 11. – 16. April 1983“, in: Staatsarchiv Hamburg, 363-6_182, Europäisch-Arabischer Dialog.

[16] Vgl.: ebd.

[17] Vgl.: Runderlass des Vortragenden Legationsrats I. Klasse Steinkühler, 012-312 VS-NfD, Fernschreiben Nr. 43 Ortez, 25.04.1983, In: Akten zur Auswertigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1981. 1. Januar bis 31.Dezember, hrsg. im Auftrag des Auswertigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte, Oldenburg, Wissenschaftsverlag GmbH, 2014.

[18] Vgl.: Programmheft „Arabische Kulturwoche in Hamburg, 11. – 16. April 1983“.

[19] Vgl.: Runderlass des Vortragenden Legationsrats I. Klasse Steinkühler, 25.04.1983.

[20] Zit.: ebd.

[21] SATTLER: Die Institutionalisierung europäischer Nahostpolitik, S. 342.

[22] Vgl.: ROBERT: Euro-Arabischer Dialog, S. 45.

[23] Vgl.: ebd., S. 45.