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Orientalistik, Nationalsozialismus und Vergangenheits-bewältigung

Die Kontroverse um Bertold Spuler an der Universität Hamburg

Rückblickend markieren die 1960er Jahre in der Geschichte der BRD den Beginn eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels. 1961 fand in Jerusalem der Prozess gegen Adolf Eichmann, den Chef-Organisator der europäischen Judenvernichtung statt, ab 1963 in Frankfurt die Auschwitzprozesse. Ausgehend davon drangen die durch Deutschland in Europa begangenen Gräueltaten zunehmend ins öffentliche Bewusstsein. Eine junge Nachkriegsgeneration politisierte sich verstärkt und stellte Fragen nach der Verwicklung ihrer Eltern in die NS-Zeit. Im Verlauf dessen formierte sich vor allem an den bundesdeutschen Universitäten und Hochschulen eine Bewegung von Studierenden, welche ins Zentrum ihrer Forderungen die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit stellte. Die Entnazifizierung durch die Westalliierten war ihrer Ansicht nach nur mangelhaft durchgeführt worden, was sich durch zahlreiche personelle Kontinuitäten innerhalb von Justiz, Verwaltung und Politik äußerte.[1] Aber nicht nur die jüngste Nazivergangenheit, sondern auch ihre Gegnerschaft zum immer stärker eskalierenden Vietnamkrieg, sowie zur Wiederbewaffnung der Bundeswehr, als auch die Forderung nach einer Reformierung der veralteten und konservativen Strukturen an deutschen Hochschulen, und ihre Vorstellungen von einer radikalen Demokratisierung der Gesellschaft, brachten die später als „68er“ bekannte Bewegung in zunehmende Konfrontation mit dem herrschenden Status Quo der BRD. Einen ihrer Höhepunkte fand die 68er-Bewegung am 9. November 1967 durch einen berühmt gewordenen Vorfall an der Universität Hamburg, welcher auch die Orientalistik[2] nicht unberührt ließ.

An jenem Tag wurde der damalige Rektor der Universität, Karl Heinz Schäfer, feierlich verabschiedet und das Amt seinem Nachfolger Werner Ehrlicher übergeben. Als die Lehrstuhlinhaber mit dem alten und neuen Rektor an ihrer Spitze feierlich den Saal betraten, entrollten die damaligen Vorsitzenden des Allgemeinen Studierendenausschusses, Detlev Albers und Gert Hinnerk Belger, ein Stoffbanner, auf welchem „Unter den Talaren Muff von tausend Jahren“ zu lesen war. Ziel der Aktion war es, die Kritik der Studierenden an den veralteten Strukturen der bundesdeutschen Hochschulen und der nicht aufgearbeiteten NS-Vergangenheit in die Öffentlichkeit zu tragen. Als wäre der Vorgang für die damaligen Verhältnisse nicht schon skandalös genug gewesen, erhielt er zusätzliche Brisanz durch den Orientalisten Bertold Spuler.

Gleich als würde der damalige Inhaber des Lehrstuhls für Islamkunde die Kritik der Protestierenden bestätigen wollen, rief er den Studenten zu „Sie gehören alle ins Konzentrationslager!“. Spuler wurde in der Folge zeitweilig von seinen Tätigkeiten an der Universität Hamburg suspendiert und ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet. Im Verlauf dessen stellte sich heraus, dass Spuler nicht nur 1937 der NSDAP beigetreten, sondern auch Mitglied der SA war.

Beitrittsformular aus Bertold Spulers Personalakte,
StA HH, 361-6 IV 1451 Bertold Spuler.

Die politische Stimmung unter den Studierenden an der Universität Hamburg wurde im selben Jahr nochmals durch den Sturz des Denkmals für den ehemaligen Kolonialbeamten Herrman von Wissmann verdeutlicht, welches sich einst vor dem heutigen Hauptgebäude befand.[3]

Dass die Kritik der Studentenbewegung zu großen Teilen berechtigt war, wird unter anderem daran deutlich, dass das Verhältnis der deutschen Geisteswissenschaften und ihrer Akademiker:innen zum Nationalsozialismus zum damaligen Zeitpunkt relativ unthematisiert blieb. Als Grund hierfür werden in der Forschung unter anderem der schwelende „Ost-West Konflikt“, welcher bundesdeutsche Akademiker:innen vor allzu scharfer Kritik der Öffentlichkeit bewahrte, sowie zahlreiche zum damaligen Zeitpunkt noch nicht zugängliche Dokumente vermutet. Erst im Jahr 1988 sollte durch die Forschung des britischen Historikers Michael Burleigh ein Standardwerk[4] über die Verstrickung der deutschen Geisteswissenschaften in die nationalsozialistische Siedlungs- und Vernichtungspolitik in Osteuropa vorliegen.[5] Der heutige Forschungsstand zur Geschichte der Universität Hamburg im Nationalsozialismus ist den wissenschaftlichen Pionierleistungen des Historikers Eckart Krause zu verdanken.[6]

Eine wissenschaftliche Studie über das Verhältnis der Orientalistik zum NS-Regime liegt seit 2006 vor. Der Islamwissenschaftler Ekkehard Ellinger stellte in dieser die bisherige Annahme, dass die Orientalistik für die politische NS-Elite nur von untergeordnetem Interesse gewesen sei, anhand einer umfangreichen Darstellung der Interaktionen deutscher Orientalisten mit dem NS-Regime kritisch auf die Probe.[7] Im Fall der Universität Hamburg konstatiert Achim Rohde, dass eine direkte Kooperation der Orientalistik mit dem Nationalsozialismus nur in beschränkten Umfang nachzuweisen ist, jedoch die Forschung über jene Orientalisten, die sich dem NS-Staat außerhalb von Lehre und Forschung andienten, noch sehr beschränkt ist.[8] Der Aufarbeitung und Diskussion des besonders prominenten Falles des Bertold Spuler hat sich Anne Molls 2004 in einer Magisterarbeit angenommen, die die bisher umfangreichste Recherche aus der Perspektive der Biographieforschung darstellt. [9] Zum Ende der Weimarer Republik hatte sich demnach die Orientalistik fest als eigenständige Geisteswissenschaft im deutschsprachigen Raum etabliert. Während sie in ihrer Anfangszeit im 19. Jahrhundert ein Nischendasein innerhalb der Theologie und Philologie fristete, konnte die Orientalistik ab 1871 von den politischen Allianzen und Bestrebungen des deutschen Kaiserreiches in hohem Maße profitieren. Die Konkurrenz mit den Kolonialmächten England und Frankreich, eine imperialistisch ausgerichtete Außenpolitik, sowie das Bündnis mit dem Osmanischen Reich während des ersten Weltkrieges, schufen Platz für Orientalisten im Staatsdienst.[10] So war beispielsweise der Begründer der Hamburger Islamwissenschaft, Carl Heinrich Becker, im Kultusministerium tätig und setzte sich für die Erweiterung und Förderung zahlreicher Fachbereiche ein.[11] Mit dem wachsenden politischen Erfolg der Nationalsozialisten in den späten Zwanzigern wuchs schließlich auch die Anzahl jener Orientalisten, die ein Parteibuch der NSDAP besaßen, während man sich in den Jahren zuvor eher dem gemäßigt konservativen Parteienspektrum zugehörig sah.[12] In den Jahren 1933-34 stieg schließlich die Bereitschaft unter Orientalisten, sich dem neuen Regime aktiv anzudienen, wozu das sogenannte „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, welches vor allem dazu diente, Jüdinnen und Juden aus dem Verwaltungsapparat und Universitätsbetrieb zu entfernen, einen ersten Anlass bot. So wurde die Karriere des Professors für Islamkunde Franz Babinger beendet, nachdem sein Vorgesetzter an der Berliner Universität, der Orientalist Hans Heinrich Schaeder, in einem Gutachten seine wissenschaftliche Arbeit und darüber hinaus seine „arische Abstammung“ in Zweifel zog.[13] Mit Kriegsbeginn erlangte die Orientalistik schließlich den Status einer kriegswichtigen Wissenschaft. Der Feldzug in Nordafrika und der Versuch mit antibritischer und antijüdischer Propaganda Einfluss in den arabischsprachigen Ländern zu gewinnen, verschaffte deutschen Orientalisten Posten in zahlreichen NS-Organisationen wie Wehrmacht, SS, dem Auswärtigen Amt sowie in den Geheimdiensten.[14] So diente beispielsweise Rudi Paret als Übersetzer im deutschen Afrikakorps und die Arabisten Oluf Krückmann und Adam Falkenstein wurden zur Vorbereitung eines pro-deutschen Putsches 1941 in den Irak entsandt.[15] Weiterhin bemühte man sich zu propagandistischen Zwecken darum, eine arabische Übersetzung von Adolf Hitlers „Mein Kampf“ vorzulegen. In diesem Kontext wurde die Arbeit des Arabisten Hans Wehr an seinem Arabisch-Deutschen Wörterbuch durch das Auswärtige Amt unterstützt.[16]

Ab 1942 strebte die nationalsozialistischen Führung mit der sogenannten „Aktion Ritterbusch“ an, die Geisteswissenschaften ideologisch in die deutsche Kriegspolitik zu integrieren. Die Orientalistik war für den NS-Staat auch im Kontext seines pseudowissenschaftlichen Arierbegriffs interessant. Die Leitung der Orientabteilung der „Aktion Ritterbusch“ wurde dabei dem Indologen Walther Wüst übertragen, welcher mit dem Reichsführer SS, Heinrich Himmler, in regem Austausch stand und von diesem damit beauftragt wurde, die „(…) Haupt- und Kernbegriffe der indogermanischen, nordischen Weltanschauung endgültig festzulegen“.[17] Ein weiteres Betätigungsfeld für die Orientalistik während der NS-Zeit ergab sich nach dem Überfall auf die Sowjetunion 1941. Ähnlich wie schon im arabischsprachigen Raum war die deutsche Kriegsmaschinerie darum bemüht, verschiedene Volksgruppen in Osteuropa für ihren Krieg gegen die Sowjetunion zu gewinnen. Dazu wurden aus kriegsgefangenen Rotarmisten und Freiwilligen die sogenannten Ostlegionen gebildet, die sich aus nichtrussischen Minderheiten zusammensetzten.[18] Im Rahmen dessen wurde auch Bertold Spuler zum ersten Mal in größerem Rahmen für den Nationalsozialismus aktiv.

Der 1911 in Karlsruhe geborene Spuler hatte 1935 sein Studium der Slavistik und Islamwissenschaft in Breslau abgeschlossen und gehörte damit zu der jungen Generation von Orientalisten in Nazideutschland. Bereits ein Jahr vor seiner Habilitation 1938 war er der NSDAP beigetreten und für die Gestapo als Übersetzer für Jiddisch und Hebräisch tätig gewesen. Innerhalb der Partei hatte Spuler die Funktion eines Zellenleiters ausgeübt, von seinem Kreisleiter wurde ihm politische Zuverlässigkeit bescheinigt.[19] Dem gegenüber steht, dass Spuler 1967 im Rahmen einer an seine Suspendierung anschließenden Untersuchung angab, keine Parteiuniform besessen und auch die Weltanschauung der NSDAP abgelehnt zu haben. Gleichzeitig begründete Spuler seinen Parteieintritt später damit, dass er sonst kein Stipendium für seine anstehende Habilitation erhalten hätte.[20]

Im Jahr 1940 wurde Spuler schließlich zur Wehrmacht eingezogen und war ab 1941 vom Auswärtigen Amt mit der Dechiffrierung türkischer Telegramme beauftragt worden. Zu einem höheren Posten sollte Spuler schließlich gelangen als die Wehrmacht beschloss, den Islam als vereinendes Element für die innerhalb der Ostlegionen kämpfenden muslimischen Soldaten zu bestimmen.[21] Dem zugrunde lag die Vorstellung, dass jene Völker allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit natürliche Feinde der Sowjetunion und des Marxismus sein müssten,[22] wovon man sich eine „propagandistische Wirkung auf den Gegner und auf die Bevölkerung der entsprechenden Länder“[23] versprach. Gleichzeitig wurde ihnen die Bildung eigenständiger Nationalstaaten unter deutschem „Schutz“ versprochen.[24] Auch im Reichssicherheitshauptamt, dem Nachrichtendienst der SS, fand dies seinen Widerhall mit der Einrichtung der sogenannten Arbeitsgemeinschaft Turkestan. Im institutionellen Rahmen der Deutsch Morgenländischen Gesellschaft hatte dieses Projekt den Auftrag, sich „mit besonders dringlichen Fragen über die wehr- und volkswirtschaftliche Bedeutung Sowjet- Mittelasiens (…) sowie mit Fragen des nationalen Gegensatzes (…)“ zu beschäftigen.[25]  Zu diesem Zwecke vermittelte Spuler der Arbeitsgemeinschaft Personal, welches er aus den Wehrmacht- und SS-Verbänden der Ostlegionen oder direkt aus Kriegsgefangenenlagern rekrutierte.[26]

Im Sommer 1942 wurde beschlossen, die einzelnen Legionen nach religiösen Gesichtspunkten zu hierarchisieren und an deren Spitze sogenannte Feldmullahs zu stellen, die als Experten für islamische Fragen fungieren sollten.[27] Zu diesem Zwecke wurden im Sommer 1944 sogenannte Mullah-Lehrgänge an der Universität Göttingen ins Leben gerufen, deren Leitung Spuler übernahm. Ziel dieser Lehrgänge sollte sein, den Teilnehmenden ein Grundwissen in Theologie und Ritus der zwei wichtigsten konfessionellen Gruppen des Islam, Schiiten und Sunniten, zu vermitteln.[28]

Die fachlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten Spulers prädestinierten ihn für diese Aufgabe, da er über einen reichen Fundus an Wissen über Geschichte und Praxis des Islam verfügte und neben Arabisch und Türkisch zahlreiche weitere regionale Sprachen beherrschte.[29] Im Allgemeinen wurden die Mullah-Lehrgänge Spulers als ein Erfolg bewertet. Den von ihm ausgebildeten muslimischen Geistlichen wurde attestiert, sich als „besonders überzeugte Gegner des Bolschewismus[30] hervorgetan zu haben, wovon man sich die gewünschte Propagandawirkung innerhalb der Legionen versprach. Als problematisch bewertete Spuler hingegen, dass an seinen Lehrgängen Muslime sunnitischer als auch schiitischer Glaubensrichtungen teilnahmen, was zu religiösen Spannungen unter den Teilnehmenden führte und Spuler dazu veranlasste, sich für deren Trennung einzusetzen.[31]

Im Zusammenhang mit der Kontroverse von 1967 ist es bemerkenswert, dass Bertold Spulers tatsächliche Betätigung als Orientalist während der Zeit des Nationalsozialismus nur von untergeordnetem Interesse zu sein schien. In der öffentlichen Debatte dominierte die Auseinandersetzung über den von ihm getätigten Ausruf gegenüber den protestierenden Studenten und die Frage, ob dieser Rückschlüsse auf die politische Gesinnung Spulers zuließe. Zu dem Vorfall befragt, gab Spuler an, dass er durch die Aktion der Studenten beschämt wurde und sich in einem Zustand emotionaler Erregung zu dem Ausruf hinreißen ließ.[32] Seine Motivation lag ihm zufolge nicht in einer nationalsozialistischen Gesinnung, sondern in dem Wunsch, dass „das Verhalten dieser terroristischen Gruppen [die Studenten, M.P.] geahndet werden [müsste]“.[33]

Der Vorfall wurde in der Folge durch die Presse aufmerksam beobachtet und kommentiert. So schrieb der Journalist Egon Giordano in einem Brief an den damaligen Hamburger Bürgermeister, dass es „keine größere Offenbarung“ für eine nationalsozialistische Gesinnung geben könne als die, dass jemand Andersdenkende in ein KZ wünscht.[34]

Zuschrift des Journalisten Egon Giordano an Bürgermeister Dr. Drexelius, 24.11.1967
StA HH 361-6 IV 1451 Bertold Spuler.

Demgegenüber erfuhr Spuler durch sein Fachkollegium und durch ihm persönlich nahestehende Studierende ein hohes Maß an Unterstützung. So wurde beispielsweise auf die freundschaftlichen Kontakte die Spuler zu dem von den Nationalsozialisten verfolgten Dr. Richard Salomon pflegte verwiesen.[35] In einem Brief an die Hamburger Schulbehörde drückten darüber hinaus Studierende des Orientalischen Seminars ihre Wertschätzung gegenüber Spuler aus und kritisierten den – ihrer Ansicht nach ungerechten – Umgang mit ihrem Professor in der Presselandschaft, da ein „einmaliger Zuruf“ nicht als Ausdruck einer „gefestigten Überzeugung“ gewertet werden dürfe.[36]

Dieser Auffassung schloss sich auch die Leitung des gegen Bertold Spuler eingeleiteten Disziplinarverfahrens an und sprach lediglich einen Verweis gegen den Orientalisten aus. Bereits am 7. Februar 1968 durfte Spuler seine Dienstgeschäfte wieder aufnehmen und lehrte noch bis 1980 in Hamburg wo er 1990 starb.[37]

Das Hamburger Abendblatt berichtet am 3. Mai 1968 über den Verweis Bertold Spulers, StA HH 361-6 IV 1451 Bertold Spuler.

Ob es sich bei der Person Bertold Spuler um einen überzeugten Nationalsozialisten gehandelt hat oder ob er einer jener zahlreichen Orientalisten war, die sich dem NS-Staat aus Karrieregründen andienten, lässt sich aus geschichtswissenschaftlicher Sicht schlecht bewerten. Allerdings lassen sich, ausgehend von den zugänglichen Archivdokumenten und der historischen Forschung, Aussagen darüber treffen, inwieweit die Orientalistik und ihre akademische Elite Anteil an der nationalsozialistischen Ideologie und ihrer mörderischen Praxis hatte: Spätestens nach Kriegsbeginn war die Orientalistik für Deutschland zu einer kriegswichtigen Wissenschaft geworden, während sie in den Vorjahren Phasen der Anpassung und Ideologisierung durchlaufen hatte. Die rassistische Vorstellung des Nationalsozialismus von „organisch gewachsenen Volksgemeinschaften“ schlug sich innerhalb der Orientalistik besonders in einem idealisierten Verhältnis zum Islam nieder, der unter anderem von Spuler in einer Studie von 1942 als das „verbindende Element“ von in Wahrheit sehr heterogenen Volksgruppen konstruiert wurde, was eine orientalistische Sichtweise im Sinne von Edward Said offenbart. Vor allem die jungen Orientalisten wie Spuler wurden durch Wehrmacht, SS und die Geheimdienste in ihrer Disziplin gefördert und boten ihnen Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten außerhalb der Universität. In diesem Rahmen war Spuler in seiner Tätigkeit als Ausbilder für muslimische Angehörige der Ostlegionen an dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion beteiligt, in dem laut nationalsozialistischen Plänen 20 Millionen Sowjetbürger ermordet werden sollten. Das Beispiel Berthold Spuler zeigt eindrücklich, dass Wissenschaft in Wechselwirkung mit den jeweils herrschenden Verhältnissen steht und unter bestimmten Umständen dazu führt, dass aus Wissenschaftler:innen Täter:innen werden.


[1] Im zweiten deutschen Bundestag waren laut CIA-Dokumenten 129 ehemalige NSDAP-Mitglieder vertreten. Exemplarisch sei auf Theodor Oberländer und den späteren Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger verwiesen. National Security Archive, https://bit.ly/3GPcHHP (Zugriff 3.6.2022). Der unter Konrad Adenauer als Bundeskanzleramtschef tätige Hans Globke war einer der Verfasser der Nürnberger Rassengesetze.

[2] Spätestens seit dem Erscheinen von Edward Saids Buch „Orientalismus“ (1978) wird der Begriff des Orientalismus, bzw. die Fachgeschichte der Orientalistik, von kritischen Untersuchungen begleitet. Orientalistik bzw. Orientalist, wird in diesem Beitrag nach der Definition von Ekkehard Ellinger verstanden, siehe dazu: Ellinger, Ekkehard: Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus, 1933 – 1945. Edingen-Neckarhausen: deux-mondes-Verlag 2006, S. 2f.

[3] Raßhofer, Veit: „Das Hamburger Kolonialinstitut. In: Paul, Ludwig (Hg.): Vom Kolonialinstitut zum Asien-Afrika-Institut. 100-Jahre Asien- und Afrikawissenschaften in Hamburg. Ostasien Verlag 2008, S. 29.

[4] Burleigh, Michael: Germany Turns Eatswards. A Study of Ostforschung in the Third Reich. Cambridge: Cambridge University Press 1988.

[5] Gasche, Malte: „Die Beziehung Deutscher und Skandinavischer Orientalisten im Schatten des Nationalsozialismus: Von traditionellen Banden, weltanschaulichen Brüchen und (teils) getrennten Wegen nach 1945“. Studia Orientalia Electronica (4) 2006: S. 53-70, hier S. 53f.

[6] Vgl. Uni Hamburg, https://www.geschichte.uni-hamburg.de/ueber-den-fachbereich/aktuelles/krause-ehrendoktor.html (Zugriff 3.6.2022).

[7] Ellinger, Ekkehard (2006): S. 4.

[8] Rohde, Achim: Elfenbeinturm Revisited – Zur Geschichte der Orientalistik im Nationalsozialismus: Das Beispiel der Hamburger Universität. In: Orient: Zeitschrift des Deutschen Orient Instituts. 41: 3 (2000), S. 435-460, hier S. 458f.

[9] Von der Autorin dem Projekt freundlicherweise zur Verfügung gestellt: Molls, Anne Cornelia. Bertold Spuler und die Mullakurse im „Dritten Reich“. Eine biographische Studie zum Verhältnis von Orientalistik und Politik im Nationalsozialismus. Unveröffentlichte Magisterarbeit, Universität Hamburg 2014, 121 Seiten.

[10] Ellinger, Ekkehard (2006): S. 25f.

[11] Ebd. S. 27f.

[12] Ebd. S. 34f.

[13] Ebd. S. 54f.

[14] Ebd. S. 232.

[15] Ebd. S. 252.

[16] Ebd. S. 193.

[17] Vgl.: Gasche, Malte (2016): S. 57.

[18] Hoffmann, Joachim: Die Ostlegionen 1941-1943. Turkotataren, Kaukasier und Wolgafinnen im deutschen Heer. Freiburg: Verlag Rombach 1976, S. 9.

[19] Vgl. Brief des NSDAP-Kreisleiters vom 19.11.1938, StA HH 361-6 IV 1451 Bertold Spuler.

[20] Vgl. Protokoll der Vernehmung Bertold Spulers am 18.12.1967 durch Oberstaatsanwalt Dr. Marten, Einleitungsbehörde des Senats, S. 1-9, hier 3, StA HH 361-6 IV 1451 Bertold Spuler.

[21] Die Religionszugehörigkeit der in den Ostlegionen kämpfenden Soldaten war, wie auch ihre Sprache und nationale Zugehörigkeit, sehr divers. Der Islam verfügte lediglich über die zahlenmäßig größte Anhängerschaft.

[22] Ellinger, Ekkehard (2006): S. 255f.

[23] Vgl. Hoffmann, Joachim (1976): S. 105.

[24] Ebd. S. 106.

[25] Vgl. Ellinger, Ekkehard (2006): S. 266.

[26] Ebd. S. 267.

[27] Hoffmann, Joachim (1976): S. 138.

[28] Ellinger, Ekkehard (2006): S. 256.

[29] Hoffmann, Joachim (1976): S. 140.

[30] Vgl. ebd. S. 142.

[31] Ebd.

[32] Vgl. Protokoll der Vernehmung Bertold Spulers am 18.12.1967 durch Oberstaatsanwalt Dr. Marten, Einleitungsbehörde des Senats, S. 1-9, StA HH 361-6 IV 1451 Bertold Spuler.

[33] Vgl. Brief des Journalisten Egon Giordano an Bürgermeister Dr. Drexelius, 24.11.1967, StA HH 361-6 IV 1451 Bertold Spuler.

[34] Ebd.

[35] Vgl. Brief Prof. Schaefers an den Rektor der Universität Hamburg, Prof. Dr. Drexelius, 21.11.1967, StA HH 361-6 IV 1451 Bertold Spuler.

[36] Vgl. Brief Studierender der Orientalistik an den Rektor der Universität Hamburg, Prof. Dr. Drexelius, 21.11.1967, StA HH 361-6 IV 1451 Bertold Spuler

[37] Vgl. Zeitungsartikel Hamburger Abendblatt 3.5.1968, StA HH 361-6 IV 1451 Bertold Spuler.